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Die Installation „Mimikry“ von Kerstin Brätsch in der Rotunde des Kasseler Fridericianums ist bis zur Documenta 2027 zu sehen.

© imago/Hartenfelser/IMAGO/Peter Hartenfelser

Krise nach dem Abgang der Findungskommission: Eine Verschiebung der Documenta wäre fatal

Absagen allenthalben, aber eine nächste Documenta erst im Jahr 2032 stellt keine Lösung dar. Sie muss ihre Probleme jetzt lösen und braucht schleunigst eine Berufung.

Nicola Kuhn
Ein Kommentar von Nicola Kuhn

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Das Modell könnte Schule machen. Nachdem einer der drei Kuratoren der Fotobiennale 2024 in Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen sich in einem Interview und weiteren Kommentaren deutlich pro Hamas in einem Interview und verschiedenen Kommentaren positioniert hatte und nicht mehr tragbar war, traten auch die beiden anderen zurück. Nun ist die gesamte Biennale abgesagt, die vergangene Ausgabe könnte ihre letzte gewesen sein wegen mangelnder Gelder.

Das Gleiche droht der Documenta, nachdem auch dort die gesamte Findungskommission aufgegeben hat, als die vier Jahre zurückliegende BDS-Sympathiebekundung eines Mitglieds zutage trat und entsprechend Druck aufkam. Dabei handelt es sich nicht einmal um die künftigen Macher, sondern nur das Gremium zu ihrer Berufung. Die Benennung einer neuen Findungskommission wird zur erneuten Hürde, noch vor Sondierung passender Kandidaten.

Prompt erschallt der Ruf, die nächste Ausgabe der Documenta auszusetzen, um es in neun Jahren besser zu machen – ein kontraproduktiver Vorschlag. Es könnte ihr Ende sein, so wie es nun der Fotobiennale droht. Jetzt ist der Moment, um die Documenta zu retten, auch wenn sie sich mit den letzten beiden Ausgaben bereits im Sinkflug befand: erst durch die Millionenschulden 2017, dann durch die Komplettüberforderung 2022.

Auf der Documenta 15 wurde sichtbar, was im internationalen Kunstbetrieb schon lange virulent ist: ein Missverständnis vom Austausch mit dem globalen Süden und eine sehr andere Haltung zu Israel. Will die Documenta ihre Relevanz behalten, muss sie genau diese Themen anpacken – und das nicht erst im nächsten Jahrzehnt.

Dazu gehört dann auch ein Regelwerk, um antisemitische Entgleisungen wie zuletzt zu unterbinden. Die Bundesrepublik, die in der internationalen Kunstszene gerade gerne dafür gescholten wird – aus gutem, historischen Grund –, überkorrekt zu sein, könnte mit der nächsten Documenta ein Beispiel geben, wie mit dem Konflikt umzugehen ist.

Oder doch lieber eine Nummer kleiner? Kassel klammert sich an die Idee einer Weltkunstschau im Hessischen und wäre doch besser bedient, wenn es eine eigene Großausstellung auf die Beine stellt. Vielleicht ist die Zeit der übergreifenden Betrachtung durch die Kunst vorbei. Die Zentrifugalkräfte sind in einer globalisierten Welt zu stark, als dass sie sich in hundert Tagen bündeln ließen.

„Wenn Kunst den komplexen kulturellen, politischen und sozialen Realitäten der Gegenwart gerecht werden soll, braucht sie angemessene Bedingungen, die diverse Perspektiven, Wahrnehmungen und Diskurse erlauben“, lautete die auf der Plattform e-flux nachgereichte Erklärung der zurückgetretenen Documenta-Findungskommission.

Noch möchte man die Vorstellung nicht aufgeben, dass es diesen Ort mit angemessenen Bedingungen für die Kunst gibt und er auf der Documenta zu finden ist. Aber das kann nur die nächste Ausgabe beweisen. Diese Documenta könnte ein auch ein Vorbild sein für einen veränderten, respektvollen Umgang zwischen den verschiedenen Parteien, auch zwischen der Kunst und den Medien. Ein mutiges Kuratorenteam, eine gestärkte, vertrauensvolle Begleitung muss deshalb her.

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