zum Hauptinhalt
Thomas Schmidt-Ott ist Orchesterdirektor des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin

© Peter Adamik

Kulturmanager Thomas Schmidt-Ott: Im E-Lamborghini in die Zukunft

Er will das Deutsche Symphonie-Orchester nach vorne bringen - und das ganze Klassik-Business am liebsten gleich mit. Begegnung mit einem Provokateur.

Von Frederik Hanssen

Stand:

Er ist hier schon einmal Orchesterdirektor gewesen: Um die Jahrtausendwende hat Thomas Schmidt-Ott – gelernter Cellist, promovierter Kulturmanager – für das Deutsches Symphonie-Orchester Berlin gearbeitet, in der Ära von Chefdirigent Kent Nagano. Anschließend ging er zum Bayerischen Rundfunk. Weil er aber schon immer mehr erleben wollte als Bach, Beethoven, Brahms und Co. schloss er sich 2008 dem Start Up einer ganz anderen Firma an: „TUI Cruises“. Für diesen Branchenneuling der Kreuzfahrtindustrie entwickelte er das Kultur- und Unterhaltungsprogramm, war maßgeblich in den Bau von Theatern, Konzertsälen und Clubs auf den neuen Schiffen involviert und produzierte Shows im Broadway-Style.

14 Jahre lang war Schmidt-Ott Programmchef bei „TUI Cruises“, während der Kreuzfahrt-Markt massiv boomte. Künstler aller Genres kamen zu Events an Bord: Die Wiener Philharmoniker mit Christian Thielemann, das Wacken Open Air mit weltberühmten Metal Bands. Und dann kam die Corona-Krise. Die Vergnügungsdampfer wurden auf Rede stillgelegt – gleichzeitig suchte das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin dringend Unterstützung, weil dort das Management wechselte.

Von der Klassik zur Kreuzfahrtindustrie und retour

Thomas Schmidt-Ott folgte der Einladung seines alten Arbeitgebers als Interims-Berater. Doch bald schon fragte ihn Chefdirigent Robin Ticciati, ob er nicht zum zweiten Mal der DSO-Orchesterdirektor werden wolle. Nach reiflicher Abwägung willigte er ein – und sah sich gleich mit der Aufgabe konfrontiert, den Umzug des DSO ins ICC zu organisieren. Weil der angestammte Probensaal des Orchesters auf dem RBB-Gelände an der Masurenallee Patricia Schlesingers Medienhaus-Projekt weichen sollte. Das Orchester hat sich in dem Kongress-Raumschiff provisorisch eingerichtet, der Mietvertrag läuft nur über zwei Jahre.

Neben den traditionellen Abonnement-Reihen in der Philharmonie setzt Schmidt-Ott in dieser Saison eine eigene Duftmarke mit der Reihe „Die Kunst der UnFuge“, bei der DSO-Musiker mit bekannten Kabarettisten im Steglitzer Schlossparktheater auftreten. Die Serie mit Stars wie Mathias Richling oder Torsten Sträter ist ausverkauft. Ähnlich wird es, so Schmidt-Otts Prognose, mit dem Projekt „Schöne Töne“ werden: Gemeinsam mit Radioeins-Musikchefin Anja Caspary entwickelte das DSO-Team ein neues Live-Format unter der Ägide des Rammstein-Orchestrators Sven Helbig.

Die Jahre im Unterhaltungsbusiness haben Thomas Schmidt-Otts Blick auf den etablierten Klassik-Betrieb in Deutschland verändert. Nichts fürchtet er mehr, als dass sich die Klassik in Richtung einer „bubble“ entwickelt. „Unser Kulturauftrag muss ein Kulturbegeisterungsauftrag sein“, findet er und sieht seit Jahren falsche Schwerpunktsetzungen: „Wir vermitteln Kultur, wir erklären kulturelle Zusammenhänge, musikalische, ästhetische Fakten. Wir erziehen. Education wird in vielen Häusern großgeschrieben.“ Dabei bleibe allerdings viel zu oft das Wichtigste auf der Strecke: „Der Spaß an der Sache, die Emotionalisierung.“

Nicht bilden, sondern berühren, überraschen, verzaubern müsse das Ziel aller Anstrengungen sein. „Das Deutsche Symphonie-Orchester muss in jedem Konzert die Erwartungen seines Publikums übertreffen“, postuliert Schmidt-Ott. Und erzählt dann von seinem Nachbarn, einem Berliner Bierbrauer, der niemals in ein Klassik-Konzert gehen würde. Sein Argument: Das ist mir viel zu langweilig. „Leute mit dieser Haltung müssen wir erreichen und vom Gegenteil überzeugen“, sagt Schmidt-Ott. „Und das geht nun einmal nicht mit der Erläuterung, was in Beethovens Heiligenstätter Testament steht. Da bin ich eher Rock’n’Roller: Das klappt nur, wenn der Konzertbesuch bei uns ein emotional starkes Erlebnis ist.“

Der 57-Jährige provoziert gerne – und hat keine Angst, sich mit den Routiniers in der Branche anzulegen. „Egal ob Karlheinz Stockhausen oder Ludovico Einaudi, György Kurtag oder Udo Lindenberg: jede Musik, die Menschen berührt, ist gute Musik“, findet er. Und kann sich darum auch sehr gut einen Abend in der Philharmonie vorstellen, bei der vor Anton Bruckners 9. Sinfonie eine musikalische Meditation vom Neoklassiker Einaudi gespielt wird. „Ich weiß genau - und bin damit völlig relaxt -, dass sich viele Puristen bei dieser Idee mit Grausen abwenden.“

Gerade ein Orchester wie das DSO aber müsse nun einmal eine Vorreiterrolle anstreben, wenn es darum geht, mit neuen Ideen und Werken ganz neue Publikumsschichten zu erreichen „Wir sind kein Rolls Royce wie die Philharmoniker und kein Bentley wie die Staatskappelle. Wir sind eher eine Art E-Lamborghini, falls es den überhaupt schon gibt: innovativ, spritzig, unglaublich wendig und immer Trendsetter.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })