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Immer schön kucken. Tino Kühn (links) und Léonard Bertholet.

© Dorothea Tuch

Performance-Kollektiv FUX: Kunst des Grantelns

Das Performance-Kollektiv FUX und "Die Wiederentdeckung der Granteloper" im HAU.

Was ist bloß aus unserer Beschwerdekultur geworden? Die sozialen Netzwerke quellen über vor anonymen Galle-Postings, kaum ein Tag vergeht ohne Shitstorm. Das Schimpfen auf die Regierenden schwillt zum allgemeinen Crescendo an, die Wutbürger krakeelen ihren Frust durch die Einkaufszonen, und bei fast jeder Firma laufen die Telefone heiß, weil eine Armada von Konsumenten sich um ihre Rechte geprellt sieht. Früher war das anders. Da gab es eine musikalische Spielart des großen Motzens, die sich „Granteloper“ nannte. Als Gegenentwurf zum elitären Amüsierbetrieb von Adel und Großbürgertum sollte sie die Sorgen und Nöte des einfachen Volkes artikulieren. Als Anti-Arie.

Das jedenfalls behaupten die Mitglieder des Performance-Kollektivs FUX in ihrer Arbeit „Die Wiederentdeckung der Granteloper“. Mit einigem Aufwand dichten sie der fiktiven Kunstform eine Geschichte an, die bis ins Paris des Jahres 1673 zurückreicht, wo am Vorabend der französischen Revolution ein paar kritische Geister die restriktive Kulturpolitik Ludwig des XIV. mit tagesaktuellem Protestgesang zu umgehen trachten. „Um sich die unliebsame Konkurrenz vom Hals zu schaffen, erwirkten die offiziellen Theater, insbesondere die Comédie Française, ein Sprechverbot für die Markttheater. Auf der Foire begann man daraufhin, seine Beschwerden zu singen“, erläutert das Programmheft.

Die Prämisse der Performance lautet also, ein vergessenes Genre zu reanimieren und für die Gegenwart der großen Dissonanzen erlebbar zu machen. Die Spieler Léonard Bertholet, Tino Kühn und Hannah Müller erledigen das in Form einer musikalischen Lecture, die kapitelweise um die Granteloper kreist – Historie, Aufbau, besondere Kennzeichen. Die Bühne von Annatina Huwiler besteht dazu aus roten, zirkushaften Holzaufbauten, die einen „Grantelturm“ darstellen sollen, von dem aus deklamiert wird, oder eine „Grantelmuschel“, in der die Musiker sitzen. Ausladende Kostüme erledigen den atmosphärischen Rest.

Musikalisch bewegt sich das Ganze irgendwo zwischen Barock und „Somewhere over the Rainbow“-Schmelz, was ein paar schöne Momente hat. Zum Beispiel, wenn Beschwerden über die Qualität von Frühstücksflocken mit stilechter Opern-Inbrunst vorgetragen werden: „Meine Cornflakes sind nicht crunchy! Sie sind labbrig! Labbrig!!!“

Eine Truppe aus den Gießener Geniewerkstätten

Hinter FUX stehen als Macher Nele Stuhler, Falk Rößler und Stephan Dorn, die sich im Studium der Angewandten Theaterwissenschaften in Gießen zusammengefunden haben – wo bekanntlich auch die Wurzeln von She She Pop, Rimini Protokoll und anderen Größen der freien Szene liegen. Die FUX-Performer haben sich auf das Durchforsten, Beleuchten und Infragestellen von Theaterformen spezialisiert – etwa im meta-ironischen Kleinkunst- und Kabarett-Abend „Die kleine Freiheit – vielleicht“. Auch die Oper stand schon auf dem FUX’schen Diskurs-Programm („Opa übt“).

Weil das ziemlich smarte Abende waren, tourt die Gruppe mittlerweile durch die Oberliga der Produktionshäuser: Münchner Kammerspiele, Mousonturm Frankfurt, Kaserne Basel. Mit der „Granteloper“ sind sie jetzt erstmals auch in Berlin am HAU zu sehen. Und bleiben leider hinter den Erwartungen zurück.

So lustig das Fake-Konzept ist – man hat es schnell kapiert und sieht danach überwiegend einer zähen Schleife von Wiederholungen zu. Hört beliebige Aufzählungen in Liedform, worüber man sich so beschweren kann: unreife Bananen, die ungerechte Verteilung der Vermögen, das Geräusch von Rollkoffern auf Pflastersteinen, die unsäglichen Qualen der Liebe. Dazwischen gibt’s Berichte von der Recherchephase, Selbstauskünfte über die Arbeit als „enthierarchisiertes Kollektiv“ und anderen Leerlauf. Schade, hier wird ein gutes Thema verschenkt. Der Abend endet mit einer Drohung: „Die letzte Regel der Granteloper: Sie hört nie auf!“

– wieder diesen Fr und Sa, 19 Uhr, HAU 3

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