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Dora Hitz, „Kirschenernte“, vor 1905.

© Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Reinhard Saczewski

Kunst von Frauen: Die Alte Nationalgalerie entdeckt die Werke von Künstlerinnen neu

Künstlerinnen vor 1919: Die Ausstellung „Kampf um Sichtbarkeit“ übt Wiedergutmachung für ein historisches Versäumnis des Museums.

Diese Gesichter – wie konnten sie im Depot verschwinden? Zum Beispiel das Selbstporträt von Marie Spieler, unprätentiös und souverän. Oder der geheimnisvolle Kopf eines alten Mannes von der völlig unbekannten Pauline Lehmaier?  Die Ausstellung „Kampf um Sichtbarkeit – Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919“ erzählt von Versäumnissen des Museums, aber auch von dem Erfindungsreichtum und Durchsetzungsvermögen der Künstlerinnen, von ihrem Geschick, Hindernisse aus dem Weg zu räumen oder zu umgehen. Viele von ihnen machten beeindruckende Karrieren, wurden von der Nationalgalerie angekauft und landeten dennoch im Depot.

80 zu 4000, das ist etwa das Verhältnis zwischen Frauen und Männern in der Sammlung des Hauses auf der Museumsinsel, das die Kunst des 19. Jahrhunderts repräsentieren soll. Jetzt haben Ralph Gleis, der Leiter der Alten Nationalgalerie, und die Kuratorin Yvette Deseyve die Bestände durchforstet und den „Kampf um Sichtbarkeit“ dokumentiert. Die Ausstellung zeigt von jeder Künstlerin, die in der Sammlung vertreten ist, ein Gemälde oder bildhauerisches Werk, das vor 1919 entstand.

Frauen waren von der Kunstakademie ausgeschlossen

Erst seit 100 Jahren dürfen Frauen an der Berliner Kunstakademie studieren. Davor mussten sie Nebenwege gehen, um Karriere zu machen. Allerdings waren noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts Ausnahmen möglich. Marie Ellenrieder aus Konstanz erreichte 1813 mit Hilfe des Konstanzer Generalvikars von Wessenberg, dass sie in München zum Studium zugelassen wurde. Ihr Präzedenzfall eröffnete später rund fünfzig Frauen die Möglichkeit, an der Münchner Akademie zu studieren. Mit der wachsenden Zahl der Studierenden verwehrten die Hochschulen jedoch Frauen das Studium. In Berlin hielt Anton von Werner 1879 dezidiert in den Akademiestatuten fest, dass die Aufnahme von Schülerinnen ausgeschlossen sei.

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Die angehenden Künstlerinnen wichen nach Paris aus, an die Académie Julian zum Beispiel. Hier erhielten sie die gleiche Ausbildung wie ihre Kommilitonen, mussten aber den doppelten Preis bezahlen. Als sich 1867 der Verein Berliner Künstlerinnen gründete, bot er Unterricht für Frauen an. So konnten sich, allen Widrigkeiten zum Trotz, erstaunlich viele Künstlerinnen durchsetzen.  

Paula Modersohn-Becker, „Mädchen mit Blütenkranz im Haar“, um 1901
Paula Modersohn-Becker, „Mädchen mit Blütenkranz im Haar“, um 1901

© Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jörg P. Anders

Ein Vergnügen dieser Ausstellung besteht darin, die ungewöhnlichen Lebensläufe nachzulesen, die sich in die eigenwilligen Gesichtszüge auf den Selbstporträts eingeschrieben haben. Anna Dorothea Therbusch wurde schon 1764 Hofmalerin in Mannheim, ging nach Paris, wurde von der Académie Royale aufgenommen und signierte ihre Bilder mit „Peintre du Roi“.

Werke von Künstlerinnen dienten als Wandschmuck

Marie Ellenrieder schloss sich tiefgläubig in Rom den Nazarenern an, setzte sich als feine Porträtistin durch und wurde 1829 badische Hofmalerin. Die Nationalgalerie besitzt nur ein kleines Spätwerk der Künstlerin, „Die Taufe der Lydia“. Ihr energiegeladenes Selbstporträt von 1818, das Hugo von Tschudi in der Jahrhundertausstellung 1906 zeigte, gehört der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe.

Die Künstlerinnen waren also keineswegs unsichtbar, ihre Werke wurden auch von der Nationalgalerie angekauft. Die meisten Bilder dieser Ausstellung aber waren bisher noch nie auf der Museumsinsel zu sehen. Offenbar verlieh das Museum Bilder von Malerinnen besonders gern als Wandschmuck an öffentliche Institutionen. Um sich einen Namen zu machen, konnten sich die Künstlerinnen also nicht auf das Prestige der Museumsausstellung verlassen.

Sabine Lepsius, die ihrem Mann bei der Hochzeit versprochen hatte, die Familie durchzubringen, führte einen Salon, in dem sie Aufträge akquirierte. Hier waren Ludwig Justi, der Direktor der Nationalgalerie, und der Dichter Stefan George zu Gast. Geld verdiente Sabine Lepsius vor allem mit den Porträts der Kinder ihrer Gäste. In der Ausstellung hängt das kraftvolle Selbstbildnis, in dem die 21-jährige Kunststudentin die Zukunft zu befragen scheint. Am Ende ihre Lebens resümierte die Künstlerin bitter, dass sie ihr Talent mit Auftragsarbeiten vergeudet habe.

Viele Arbeiten im Depot waren in erbärmlichem Zustand

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Macht der Akademie bereits angegriffen. Die Künstlerinnen erhöhten den Druck mit Petitionen für die Zulassung von Frauen zum Studium. Die Secession eröffnete eine Alternative. Die ersten Galerien, wie Herwarth Waldens „Der Sturm“, boten Frauen die Möglichkeit zur Ausstellung und zum Verkauf. So hatten die Künstlerinnen längst andere Wege beschritten, als sich 1919 die Berliner Kunstakademie für Frauen öffnete. Zwischen 1893 und 1918 hatten über 920 Künstlerinnen an der Großen Berliner Kunstausstellung teilgenommen.

Maria von Parmentier, „Der Hafen von Dieppe“, vor 1878
Maria von Parmentier, „Der Hafen von Dieppe“, vor 1878

© Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Andres Kilger

Dennoch hängen hundert Jahre später nur fünf, manchmal sieben Werke von Künstlerinnen in der Dauerausstellung der Alten Nationalgalerie. Das Selbstporträt von Sabine Lepsius etwa, die damals noch Graef hieß, oder Caroline Barduas haariges Porträt von Caspar David Friedrich, das anfangs für ein Selbstporträt des Künstlers gehalten wurde. Zwar fand 1975 noch in der Nationalgalerie (Ost) eine Schau über „Deutsche bildende Künstlerin­nen von der Goethezeit bis zur Gegenwart“ statt. Aber viele Arbeiten, die Yvette Deseyve für die aktuelle Ausstellung im Depot entdeckte, waren in erbarmungswürdigem Zustand. Figuren waren zerbrochen, Malschichten nur notdürftig gesichert. Über die Hälfte der Exponate musste restauriert und neu gerahmt werden. Es hat schon fast etwas Heldenhaftes, wie das Haus diese Vernachlässigung öffentlich macht. Dazu kommen die Lücken in der Sammlung. Die Impressionistinnen Berthe Morisot, Mary Cassatt, die Bildhauerin Camille Claudel – in Berlin existieren sie nicht.

Jetzt müssen die bisherigen Künstler der Dauerausstellung beweisen, ob sie bestehen können neben der Durchlässigkeit, der Zugewandtheit und der Lebendigkeit ihrer Kolleginnen. Schwer vorstellbar, dass die durchsichtige Stadtlandschaft von Maria Slavona oder Antonie Volkmars klares Porträt der Marianne Beschütz wieder in der Versenkung verschwinden. Denn ohne die weibliche Perspektive bleibt der künstlerische Blick auf die Welt doch etwas fad.
„Kampf um Sichtbarkeit – Künstlerinnen der Nationalgalerie vor 1919“ – bis 8. März 2020, Museumsinsel, geöffnet täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr

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