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Kunstforum: Für die Wand

Das Kunstforum der Berliner Volksbank erinnert zum 100. Geburtstag an HAP Grieshaber.

Auch in den Nahostkonflikt hat er sich eingemischt. Auf seine Weise. Doch Partei ergriffen hat HAP Grieshaber allein für die Natur: „Jetzt sprechen die Kamele“ lautet die Überschrift einer Linolschnittmappe von 1970, aus der diese Ausstellung einen Druck zeigt. Stolz, mitunter leidvoll gebeugt schaukeln die Höckertiere als schwarze Silhouetten über das Blatt, hebräische und arabische Schriftzeichen symbolisieren die grenzüberschreitende Beziehung zwischen Mensch und Tier. Kamele tragen jeden durch die Wüste und wissen nichts vom Krieg.

Anlass der Ausstellung im Kunstforum Berliner Volksbank mit immerhin rund 70 vielfarbigen Arbeiten ist der 100. Geburtstag Grieshabers, der seine Vornamen Helmut Andreas Paul zum einprägsamen Kürzel HAP verdichtete. Geboren wurde der Künstler am 15. Februar 1909 in Rot an der Rot; in Reutlingen absolvierte er eine Schriftsetzerlehre und besuchte die Kunstgewerbeschule.

Grieshaber-Präsentationen muss man in der Berliner Ausstellungschronik mit der Lupe suchen, schon von daher verdient die Retrospektive „Zeitgeschehen und Natur“ höchste Beachtung. Auf einen Katalog muss zu Zeiten der Bankenkrise verzichtet werden, dafür ist Manfred Schneckenburgers profunder Begleittext nun gratis erhältlich. Das kuratorische Konzept des zweimaligen Documenta-Leiters und Grieshaber-Kenners leuchtet ein. Er richtet den Blick auf zwei zentrale Aspekte im Werk des Künstlers: Der Einmischung des homo politicus ins Weltgeschehen wird die zeitlebens ungebrochene Liebe zur Natur gegenübergestellt.

Spätestens in der letzten von sieben Ausstellungsstationen, im Segment „Gegen die Zerstörung der Umwelt!“, fallen Naturbegeisterung und Widerstandsgeist in eins. Wie ein Mahnmal ragt ein auf die Schwanzflossen gestellter Wal auf, in den ein Walfänger Harpunen voller Widerhaken treibt (1974). Als Plädoyers für die Erhaltung der Natur und zugleich als formal meisterhaft beherrschte Farbholzschnittkunst sind Werke wie „Floret Silva“ (1965) aufzufassen. Hier begreift man, warum Grieshaber sich immer als Maler mit Holzschnittmesser und Stechbeitel verstand, der nicht für die Grafikschublade, sondern immer für die Wand arbeitete.

Die größten, teils auch beeindruckendsten Formate finden sich im Zentrum des Ausstellungsrunds zum Themenkreis „Nachkriegsnot und Kalter Krieg“. Von Gittern zerschnitten erscheinen Frauen und Soldaten im „Schmerzensbild“ (1952/63), das ungeklärte Soldatenschicksale in russischen Kriegsgefangenenlagern beklagt (Grieshaber selbst war ein Jahr lang in Belgien interniert). Die Berlin-Blockade von 1948/49 griff Grieshaber in dem Blatt „Berolina“ auf. Einem amerikanischen Flugzeug entsteigt eine üppige Dame mit allerlei Mitbringseln – offenbar eine augenzwinkernde Allegorie der USA.

Der Zweite Weltkrieg wird eigentlich nur indirekt bei Grieshaber sichtbar, sieht man vom Holzschnitt „Im Krieg zerstörtes Kruzifix“ ab (1941). Eher beschwor der von den Nazis bereits ab 1933 mit Berufsverbot belegte Künstler noch 1939 den „Frieden“, mit einer braungrünen, an Kinder zeichnungen erinnernden Landschaft, in der ein trauriges Schaf vor halb entlaubten Bäumen steht.

Abgesehen vom gänzlich un-„völkischen“ Inhalt all dieser Arbeiten zwischen 1933 und 1945 beruhte die Wahl der Holzschnitt-Technik vor allem auf dem Widerspruchsgeist des Künstlers: „1933 wollte ich nach der ersten Beschlagnahmung etwas machen, von dem man mehr Originale hat, als sie einem wegnehmen konnten“, erklärte er kurz vor seinem Tod, dem er am 12. Mai 1981 in der Nähe von Reutlingen erlag.

Grieshaber blieb beim Holzschnitt und nutzte ihn zum erschwinglichen Medium einer „Kunst für alle“. Im Computer zeitalter darf man ihn getrost den letzten großen Virtuosen dieser Kunst nennen.

Kunstforum der Berliner Volksbank, Budapester Straße 35, bis 19. April, Mo.–So. 10–18 Uhr.

Jens Hinrichsen

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