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Kultur: Langeweile in der Bibliothek

FOTOGRAFIE

Manchmal fragt man sich, ob soziale Recherche nicht allein den Soziologen überlassen bleiben sollte. Dann aber fallen einem große künstlerische Milieustudien ein – George Grosz’ Karikaturen etwa oder auch die realistischen Gesellschaftsportraits, die Balzac in seinen Romanen zeichnete. Liisa Roberts Dokumentation Wiipuri / Vyborg , die derzeit (auch im Rahmen der Berlin Biennale) in der daad-Galerie (Kurfürstenstr. 58, bis 18. April) zu sehen ist, lässt sich jedoch nicht in die Reihe gelungener Kunstwerke mit sozialem Interesse stellen. Dabei ist der Ausgangspunkt ihrer Arbeit durchaus reizvoll. Die finnisch-amerikanische Künstlerin arbeitet seit einigen Jahren an einem Projekt, von dem die ausgestellten Fotografien nur einen Teil bilden. Sie beschäftigt sich mit einer Stadt – Wiipuri oder Vyborg – die einst schwedisch war, dann die zweitgrößte Stadt Finnlands wurde, schließlich zur Sowjetunion gehörte und heute russisch ist. Besonders interessiert Roberts die dortige Bibliothek. Ehedem ein architektonisches Zeichen des Aufschwungs, bald aber von den Kommunisten geschleift, soll sie heute wieder aufgebaut werden. Die Fotografien portraitieren Menschen, die an dieser Aufbauarbeit in irgendeiner Weise beteiligt sind. Da die Ausstellung jedoch gänzlich auf Erläuterungen verzichtet, kann man nur raten, wer Architektin, wer Bibliothekar ist. So steht man vor den quadratischen Bildern und schaut Leuten ins Gesicht, die nicht viel anders aussehen, als man selbst, deren Schreibtische und Kleider höchstens etwas älter oder billiger wirken als die eigenen. Weder lernt man etwas bei diesen Bildern, noch hinterlassen sie überhaupt einen Eindruck. Schlicht gesagt: Langeweile in Color.

Tobias Lehmkuhl

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