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Politisch korrekte Sprache: Lexikalische Kriegführung

Wörter können Waffen sein. Deshalb wollen manche Wörter wie "Neger" aus den Büchern löschen - um Verletzungen zu vermeiden. Doch wer Wörter tilgt, kann nicht mehr über sie reden.

Von Anna Sauerbrey

Man könnte sich Buchstaben vorstellen wie Fliegenfänger. Man rollt das klebrige Band aus, hängt das Wort in Raum und Zeit, Bedeutungen verirren sich durch das Fenster und bleiben daran hängen. Der Thienemann-Verlag möchte in Otfried Preußlers „Die kleine Hexe“ das Wort Neger streichen, weil es nicht mehr „politisch korrekt“ ist. Als das Buch 1957 erschien, empfand Preußler das Wort offenbar nicht als anstößig. Heute nehmen wir es von der Decke ab, betrachten angewidert die angesammelten Bedeutungskadaver und möchten das Ganze am liebsten in den Müll werfen. Wir möchten mit den Buchstaben die Bedeutungen und mit den Bedeutungen die Phänomene entsorgen: den Rassismus, die Diskriminierung, die Gewalt. Die Wirkungskraft von Wörtern ist gewaltig und vielfältig, und sie wird oft unterschätzt. Wörter können Schaden anrichten, schrieb die Theaterregisseurin Simone Dede Ayivi am Samstag in dieser Zeitung, und das ist richtig. Selten werden Wörter passiv Raum und Zeit ausgesetzt, meist ist gewollt, dass sie bestimmte Bedeutungen anziehen und dass diese Bedeutungen auch an dem haften, den sie bezeichnen. Einer, der „Neger“ genannt wird, an dem haftet Minderwertigkeit. Wörter können aber, umgekehrt, Bedeutungen auch verstecken. Unternehmen sprechen davon, Mitarbeiter „freizusetzen“ statt sie zu „entlassen“. Militärs sprechen vom „Kollateralschaden“ statt von toten Zivilisten. Die düsteren Meister des Euphemismus bleiben die Nationalsozialisten. Millionenfachen Mord verbargen sie hinter der „Bearbeitung der Endlösung der Judenfrage“. Im Protokoll der Wannseekonferenz liest heute niemand mehr, ohne Schwindel zu empfinden angesichts der Tiefe des Abgrunds zwischen den semantischen Ebenen. Vielleicht ist es dieser historische Schwindel der Deutschen, der dazu führt, dass die Macht der Wörter gleichzeitig überschätzt wird. Politische Korrektheit ist der Versuch, die, die anderen mit Worten Übel anheften wollen, mit ihren eigenen Waffen zu schlagen. Lexical Warfare, lexikalische Kriegführung, nennt der amerikanische Philosoph Peter Ludlow das tägliche Ringen um die Bedeutung von Wörtern. Wörter sollen die Realität verändern. Doch die Methode stößt an ihre Grenzen. Oft funktioniert die Reinigung der Sprache von negativen Bedeutungen nur kurze Zeit, dann haften sich Stereotype und Diskriminierung an den Nachfolgebegriff. So wurden aus Negern Schwarze und aus Schwarzen Afro-Deutsche. Je tiefer das Phänomen in der Gesellschaft verwurzelt ist, desto weniger wird es sich durch die Tilgung von Wörtern aus dem Sprachgebrauch eindämmen lassen. Der Rassismus hat die Tilgung des „Negers“ überlebt, der Sexismus das Löschen des „Fräuleins“ und Antisemiten sprechen nun eben nicht mehr über „die Juden“, sondern über „den Staat Israel“. Zudem liegen der Versuch, Stigmatisierungen zu vermeiden, und die Realitätsverzerrung eng beieinander. Es macht die Armen nicht wohlhabender, dass ihre Lebensumstände jetzt „prekär“ sind – im Gegenteil. Die Sprache aber wird zunehmend unsprechbar, und die Akzeptanz der politischen Korrektheit nimmt ab. Mancher gibt sich der mentalen Faulheit hin, will einfach daherreden dürfen, ohne nachzudenken. Manche haben das Gefühl, abgehängt zu werden, weil die Kunde vom Bann bestimmter Wörter sich nicht in allen Ecken der Gesellschaft gleich schnell verbreitet. Eine große semantische Verunsicherung erfasst die Deutschen, und im allgemeinen Tohuwabohu heben diejenigen zur Schelte der politischen Korrektheit an, die in Wahrheit nicht Wörter, sondern ihre Einstellung legitimiert wissen wollen. Gerade weil die Sache so vertrackt geworden ist, ist das Tilgen von Wörtern aus der Sprache, gerade aus Kinderbüchern, falsch. Nur wer über Wörter redet, kann historisches Bewusstsein schaffen. Ein Wort – „Neger“ – genügt im besten Fall, und aus den Tiefen der Semantik erscheinen ganze Bilderbögen: dicht gedrängte Körper auf Sklavenschiffen, Baumwollfelder, Toiletten für weiße und schwarze Menschen, the back of the bus. Wer Wörter aber auslöscht, kann nicht mehr über sie reden.

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