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Kultur: Liebe ist nur ein Mord

An der Komischen Oper Berlin setzt Hans Neuenfels Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ unter Strom

Die moderne Frau trägt Strick. Ein wenig großmaschig vielleicht, aber hübsch fliederfarben und sehr zeitgenössisch. Die Dreißigerjahre, wenn man so will, im Fetzen- respektive Fessellook. Die Schnüre nämlich, die sich derart kleidsam um Katerina Ismailowas schmalen Leib spannen, sie eignen sich als In- und Sinnbild für vieles: für die patriarchalische Enge, in der diese Frau ihr ödes Dasein fristet; für die gesellschaftlichen Repressalien rundherum, die ihr eingefrorenes häusliches Glück, jenen kaltgoldenen Käfig erst ermöglichen (auch das Volk, die Arbeiterschaft, ist in seine anthrazitfarbenen Overalls buchstäblich verstrickt, ja eingeschnürt, und es reicht – im Falle der Köchin, der hervorragenden Beatrice Niehoff – ein hurtig übergestülpter roter Rock, es genügen ein paar Tütüs, um Frauen und Männer voreinander kenntlich zu machen); und für das schuldhafte Gefangensein des Menschen in sich selbst stehen diese Stricke natürlich auch, so ganz im Allgemeinen.

Elina Schnizler hat sie ersonnen, und ihre Kostüme sind überhaupt extraordinär. Wann zuletzt hat man auf einer Opernbühne derart virtuos geschnittene (und geschneiderte!), im Historisch-Zitathaften ebenso versierte wie freie und herrlich kühne Kleider gesehen? Noch die beiden Wächter im Lager wirken in ihren Filzroben fast anmutig, und wenn die die Zeit totschlagende Gendarmerie in korrekten, hellgrünen Satin-Uniformen steckt, dann sagt das eigentlich alles.

Bei dieser Kostümbildnerin darf Hans Neuenfels sich herzlich bedanken. Denn ihre Arbeit trägt neben seinem wie stets etwas verrückten, manisch-beseelten Können wesentlich dazu bei, dass sich dieser Schostakowitsch-Abend an der Komischen Oper Berlin zu einem echten Erfolg entwickelt: Schaurig in seiner Zeitfühligkeit, anrührend in seinen Brüchen – und ein wenig arg rätsel-schwurbelig leider am Ende, im Finale, wenn das Volk hinter antiken Masken ernstlich Klage führt über seine Unterdrückung und die Schlechtigkeit der Welt. Da lässt Brechts Agitationstheater plötzlich grüßen – und man versteht nicht, woher das kommt.

Vor allem aber symbolisieren die besagten Stricke jenes romantische Fatum des weiblichen Geschlechts, das – kursorisch – von Kleists „Penthesilea“ („Küsse, Bisse,/Das reimt sich, und wer recht von Herzen liebt,/Kann schon das eine für das andre greifen.“) über Ingeborg Bachmanns „Todesarten“-Zyklus und die sexuellen Entgrenzungen der Figuren etwa einer Elfriede Jelinek sozusagen unbeschadet in unsere ach so freiheitlich-emanzipierte Gegenwart hineinreichen: Die Frau nämlich, die lustvoll liebt (oder auch gar nicht liebt, sondern nur Lust hat, nur lustig ist), sie zieht zwangsläufig eine Schleifspur von Zerstörung, Vernichtung, Mord und Totschlag hinter sich her.

Denn in welchem System und wann je immer: Frauenmacht macht Angst – und weckt Gewalt(fantasien). Das verhält sich auch bei der von Dmitri Schostakowitsch Anfang der Dreißigerjahre unter stalinistischem Zensurterror in zwei Fassungen vertonten Erzählung „Lady Macbeth von Mzensk“ von Nikolaj Leskow nicht anders. Die weibliche Hauptperson, Katerina Ismailowa, rebelliert, indem sie auf ihrem Traum eines glücklichen, erotisch erfüllten Frauenlebens beharrt und zuerst mittels Rattengift den Schwiegervater Boris um die Ecke bringt und dann, unter tatkräftiger Mithilfe ihres Liebhabers Sergej, auch ihren unerwartet zurückgekehrten Gatten meuchelt (Andreas Conrad als heroisch-jämmerlicher Sinowi).

Dass jener Sergej ein rechter Idiot ist, weil gefühlsstumpf und roh und ihrer Liebe keinen Augenblick lang wert, gehört zu den kleinen fatalen Schönheitsfehlern, die das Leben und die Kunst so bereithalten. Am Ende jedenfalls geht Katerina, typisch Weib, ins Wasser – immerhin nicht ohne ihre Nebenbuhlerin Sonjetka (Caren van Oijen) gleich mitzunehmen. Rainer Werner Fassbinder hat sich zuletzt in seiner „Bremer Freiheit“ einem solchen Frauenschicksal hingegeben (komponiert Ende 1988 von Adriana Hölszky), und auch Neuenfels lässt keinen Zweifel daran, wie wenig ihn das nur Folkloristische an Schostakowitschs Parabel interessiert. Gewiss, Gisbert Jäkel, der Bühnenbildner, darf den kühlen Bauhaus-Stil der Szene gelegentlich unterwandern: Durch einen überdimensionalen Mähdrescher, der das geplagte Arbeitervolk zu zermalmen droht (fabelhaft spiellustig und bestens motiviert: der Chor der Komischen Oper in der Einstudierung von Robert Heimann), oder auch durch jene reichlich seltsame Riesenschraube, an der die Lagerinsassen Katerina und Sergej auf ihrem Weg nach Sibirien am Ende drehen („Weiter, immer weiter!“).

Bildfindungen, die es im Grunde nicht braucht, um die Gültigkeit des Geschehens zu untermauern – ebenso wie übrigens die drei rasterbelockten, ewig züngelnden Hexeriche (Daniel Eberle, Piero von Jaduczynski, Sebastian Schiller), die mit Shakespeare gewiss das Dämonisch- Triebhafte der Figuren verkörpern, ein wenig zu präsent sind. Ein starkes Bild gleichwohl, wenn sich diese drei Erynnien zum vierten Zwischenspiel mit bleckenden bluttriefenden Mäulern an der Rampe postieren, und Katerina ihnen für geleistete wie zu leistende Dienste unter panischem Gelächter Geld zusteckt.

Dass Menschen ihre Grenzen ins Utopische weiten und tatsächlich sprengen, ist weder eine Frauenfrage noch eine des nationalen Kolorits: Nicht weniger als das macht Neuenfels deutlich, in einer hoch differenzierten Choreografie des permanenten Kreisens, in allerlei erheiternden Witzig- und Bösigkeiten der Regie.

Jede Menge blutrünstiger Tragödienton also, konterkariert, nein, in luftige Pathoshöhen gehoben, durch jene zweite Ebene des Stoffes, auf der sozialistisches Volksmärchen und Realsatire, Schmierenkomödie und Polkaparodie fröhliche Urständ‘ feiern. Just auf diesem Grat balanciert – todesmutig – auch Schostakowitschs Musik, der es jenseits aller Psychologie in ihrem kubistischen Schillern, ihrem krachenden Montagecharakter schier vor gar nichts graust: vor dämlichem Fanfaren-Getröte ebenso wenig wie vor den Untiefen der Operette an sich, vor grellen Einzelfratzen nicht (Christoph Späth als „der Schäbige“, Carsten Sabrowski als Polizeichef) und erst recht nicht vor so manchem geradezu hollywoodreif sich brüstenden Chor-Tableau.

Diese Partitur – und die Komische Oper tut gut daran, auf die exzessivere, musikalisch unbehauenere Originalfassung zurückzugreifen – schaut sich permanent selbst über die Schulter. Sie reflektiert und kommentiert, sie feilscht und witzelt und fremdelt – und verliert doch nie die Aufrichtigkeit des Begehrens, das Leiden an der Welt aus dem Blick, welches Katerina treibt. Diese fruchtbare ästhetische Fallhöhe ist es, die das Stück in der Tat sehr nah an Weills „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ (1930) heranrückt oder auch an Bergs „Lulu“ (1937). Eine echte (Wieder-)Entdeckung.

Das Orchester der Komischen Oper seinerseits liegt dem russischen Dirigenten Vassily Sinaisky bei dessen Debüt an der Behrenstraße förmlich zu Füßen. Mit welcher Strahlkraft das Blech aus den Proszeniumslogen heraus agiert, ohne jemals bloß lärmig zu sein, welch bittere Süße die Streicher Katerinas Sehnsuchtsgebärden verleihen – das ist großartig. Dieser Abend vibriert innerlich vor Kraft. Er hat einen Schwung und einen Sog, der einen beim Verlassen des Opernhauses nach gut drei Stunden fast taumeln macht.

Mächtiger Jubel also am Ende auch und zuallerallererst für Anne Bolstads Katerina, die, stimmlich ein wenig rau, ihre Figur niemals ans Hysterische verrät, für Jürgen Müllers Sergej, der das Klischee des Russian Lovers stets zugleich bedient und unterläuft und für Jens Larsens grandiosen Boris, der in seinen karierten Beinkleidern und unter seinem mittelalterlichen Häubchen frisch der Commedia dell‘Arte entsprungen zu sein scheint. Kleider machen eben nicht nur Leute, sondern auch richtig gutes Theater.

Wieder am 27. und 30. November sowie am 4. und 12. Dezember.

Christine Lemke-Matwey

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