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© dpa

Politische Literatur: In der postamerikanischen Welt

Asien als Gewinner der Weltkrise? Zwei kluge Publizisten rufen das Ende der westlichen Dominanz aus.

Der Westen hat Post bekommen. Zwei dicke Briefe mit einer nicht sonderlich erfreulichen Nachricht: Die Party, die die westliche Welt über Jahrzehnte gefeiert hat, ist vorbei. Es darf zwar weitergefeiert werden, aber neben den Vereinigten Staaten jetzt mit mehreren Gastgebern, China vor allem und auch noch Indien.

Mit freundlichen, aber bestimmten Worten geben Kishore Mahbubani und Fareed Zakaria das Ende der westlichen Vorherrschaft in Politik und Wirtschaft bekannt. Mahbubani, Politikwissenschaftler aus Singapur, hat sein Land als UN-Botschafter vertreten und gilt als ebenso einflussreicher außenpolitischer Intellektueller wie der in Indien geborene Zakaria, ein ehemaliger Dozent in Harvard, der jetzt Chefredakteur von „Newsweek International“ ist und auf CNN die Sendung „GPS“ moderiert.

„Wir befinden uns in einem der formbarsten Momente der Weltgeschichte“, schreibt Mahbubani, Zakaria geht noch weiter: Der „Aufstieg der Anderen“, sei nach dem Aufstieg Europas im 15. Jahrhundert und dem der Vereinigten Staaten Ende des 19. Jahrhunderts die dritte „wahrhaft tektonische Machtverschiebung“ der neueren Zeit.

Das alles ist wohlüberlegt und historisch hergeleitet, wenn auch Mahbubani etwa die Länder aus der islamischen Welt bei seinem Aufstieg mitnimmt und seine These dadurch angreifbar macht. Er unterstellt Asien insgesamt einen Ehrgeiz und Modernisierungswillen, der bisher so in vielen Ländern noch nicht zu sehen ist. „Die Rückkehr Asiens. Das Ende der westlichen Dominanz“, heißt sein Titel. Da differenziert Zakaria stärker, ohnehin ist dieses Abwägen eine große Stärke seines Buches „Der Aufstieg der Anderen. Das postamerikanische Zeitalter.“ Postamerikanisch heißt für ihn, dass Amerika zwar einen Bedeutungsverlust erleiden und Macht teilen müssen wird, aber die einzige Supermacht bleibt. Der Aufstieg der Anderen werde besonders auf Kosten Westeuropas und Japans gehen, wegen ihrer alternden Gesellschaften.

Den Aufstieg können beide leicht erklären, er hängt mit dem wirtschaftlichen Wachstum in Ländern wie China, Indien, Russland und Brasilien zusammen. Der politische Einfluss kommt da von selbst hinzu, auch wenn China im Moment seine Außenpolitik in erster Linie noch als Außenhandelspolitik betreibt. Gerade China bietet sich jedoch für andere Länder immer mehr als Orientierungspunkt und alternatives Entwicklungsmodell an.

Mahbubani preist dieses Modell jedoch zu sehr an, er rechtfertigt die ausbleibende Demokratisierung, weil sie erst am Ende des Weges stehe. Er wagt auch die für den Westen zynisch klingende Aussage, dass China möglicherweise genauso gelitten hätte wie das russische Volk nach dem Zusammenbruch des Kommunismus, wenn die Studentenbewegung sich auf dem Platz des Himmlischen Friedens durchgesetzt hätte. Zakaria, inzwischen in Amerika angekommen, hält sich da zurück. Die Strahlkraft des amerikanischen Modells, da sind sich beide wieder einig, hat dagegen nachgelassen, zum einen symbolisch, stehen doch das höchste Gebäude der Welt, die größte Aktiengesellschaft, die größte Fabrik, die größte Raffinerie nicht in Amerika. Zum anderen haben die Vereinigten Staaten an Legitimität eingebüßt, durch den Irakkrieg, durch Folter und Doppelzüngigkeit, indem sie in China Demokratie fordern, gleichzeitig aber Demokratisierung in Saudi-Arabien behindern, indem sie ihr Arsenal an Atomwaffen pflegen, anderen Ländern aber predigen, wie unmoralisch diese Waffen doch sind.

Zakaria kommen die USA ängstlich und mutlos vor, sie ließen sich nicht ein auf andere Länder und neue Herausforderungen. „Amerika ist ein Land geworden, das sich vor Angst verzehrt – Angst vor Terroristen und Schurkenstaaten, Muslimen und Mexikanern, ausländischen Firmen und Freihandel, Einwanderern und internationalen Organisationen.“ Diese Angst lähmt die Politik. So schwindet die amerikanische „Soft Power“.

Nun ist, seitdem die Originalausgaben der beiden Bücher auf den Markt gekommen sind, etwas dazwischengekommen: die Weltfinanzkrise und die Wahl Obamas. Auch asiatische Länder sind hart getroffen. Was wird aus Chinas Exportwirtschaft, dem Motor des Aufstiegs? Zakaria hatte noch die Gelegenheit, im Vorwort für die deutsche Ausgabe darauf zu reagieren. Die USA kämen sowieso nicht an China vorbei, denn China ist mit mehr als zwei Billionen Dollar ihr größter Gläubiger und finanziert ihre Schulden und ihren Lebensstil.

Für die Finanzkrise stellt Zakaria einen Plan B auf. Wenn der Export vollkommen einbricht, könne China den Konsum durch erhöhte staatliche Ausgaben und Kreditvergabe an die eigene Bevölkerung ankurbeln. Die Krise, glaubt Zakaria, wird den „Übergang in eine postamerikanische Weltordnung nur beschleunigen. Wenn der Irakkrieg und die Außenpolitik von George W. Bush in den Augen der Welt der Macht Amerikas die Legitimationsgrundlage entzogen haben, dann hat die Finanzkrise der wirtschaftlichen Macht Amerikas die Legitimation entzogen.“ Damit meint er nicht allein Zahlen wie das Bruttosozialprodukt, sondern die Vorherrschaft auf dem Markt der Ideen.

Mahbubani formuliert eher aus der asiatischen Distanz, seine für Europäer fremde Perspektive macht sein Buch so ergiebig: Er schließt sich beispielsweise nicht der Kritik westlicher Globalisierungsgegner wie Naomi Klein an. Fabriken für Nike-Turnschuhe in China sind für Mahbubani „ein Ort der Befreiung“. Er will davon überzeugen, dass der asiatische Aufstieg für alle Gelegenheiten bietet, keine Gefahren. „Der Aufstieg Asiens wird der Welt guttun. Hunderte Millionen von Menschen werden aus den Klauen der Armut befreit werden.“ Die Welt werde friedlicher und stabiler, optimistischer und sicherer, unter anderem weil die Mittelschicht wachse. Doch dazu muss jetzt etwas getan werden: die Demokratisierung der Weltordnung. Es sei „das Paradox des 21. Jahrhunderts“, dass die Minderheit für eine Mehrheit entscheide. Etwa Europa und die USA sich die Führung in IWF und Weltbank aufteilten und im Sicherheitsrat überrepräsentiert sind.

Zakaria formuliert gleich einen ganzen außenpolitischen Aufgabenkatalog. Er empfiehlt den Amerikanern, Bismarck als Vorbild zu nehmen, also „als globaler Makler aufzutreten“, das würde die gesamte amerikanische Gesellschaft fordern. Diese Rolle „unterscheidet sich indes grundlegend von der traditionellen Supermachtrolle. Sie ist mit Konsultation, Kooperation und sogar Kompromissen verbunden.“ Da mutet Zakaria den Amerikanern viel zu – nämlich nicht weniger als ein neues Selbstverständnis.

Fareed Zakaria: Der Aufstieg der Anderen. Das postamerikanische Zeitalter. Siedler Verlag, München 2009. 350 Seiten, 22,95 Euro.

Kishore Mahbubani: Die Rückkehr Asiens. Das Ende der westlichen Dominanz. Propyläen Verlag, Berlin 2008. 333 Seiten, 22,90 Euro.

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