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Raymond Queneaus: Liebe, ein Missverständnis

Neu aufgelegt: Raymond Queneaus früher Roman „Odile“ aus dem Jahr 1937 spielt mit Liebe und Zufall und verarbeitet parodistisch Queneaus Zeit in der surrealistischen Bewegung, der er von 1924 bis 1929 angehörte.

Der junge Travy kommt von einer Versammlung, auf der ständig von Krokodilen die Rede war. Ein Mann namens Anglarès ließ einen krokodilartig geformten Stein herumgehen. Er habe ihn bei einem Trödler entdeckt, nachdem er auf eine Gedichtzeile gestoßen war, in der ein Krokodil die Treppe herunterkriecht. Kein Wunder, wenn Travy später, als er nach Odile gefragt wird, an den Kalauer „Le crocodile croque Odile“ denkt – „das Krokodil knackt Odile“. Zwecklos, den Frauen zu erklären, dass sein Lächeln nichts bedeutet. Sie wissen es besser, und so wird Odile, die aus der Provinz kommt und durchs Pariser Nachtleben irrt, für Travy zum Versprechen eines anderen Lebens.

Raymond Queneaus früher Roman „Odile“ aus dem Jahr 1937 spielt mit Liebe und Zufall und verarbeitet parodistisch Queneaus Zeit in der surrealistischen Bewegung, der er von 1924 bis 1929 angehörte. Travy, sein Alter Ego, findet nach der Rückkehr aus Marokko, wo er für Frankreich kämpfte, keinen Boden unter den Füßen. Die Abende verbringt er beim Belotespiel mit alten Kameraden, deren Leben sich um Pferdewetten, Gaunereien und Animiermädchen dreht. Tagsüber vertieft er sich in Probleme der höheren Mathematik. Als Anglarès, das literarische Pendant André Bretons, von diesen privaten Vorstößen zu den Grenzen des Beweisbaren hört, ist er begeistert. Er ist überzeugt, dass sich das menschliche Leben inmitten magischer Abgründe abspielt, dass jeder über prophetische Fähigkeiten verfügt, sofern er sich aus dem Bann der Ratio zu befreien vermag. Eine Zeit lang wirkt Travy an der „Revolution des Geistes“ mit. Doch er bleibt ein unsteter Wanderer, kehrt immer wieder zurück ins Milieu seiner Kumpel – offen für Wortspiele oder den bloßen verbalen Schlagabtausch.

Queneau (1903-1976) gehörte in Frankreich zu den bekanntesten Vertretern der 1960 gegründeten Oulipo-Vereinigung. In Deutschland wurde er mit den „Stilübungen Autobus“ und „Zazie in der Metro“ entdeckt. In der Figur Travys kündigt sich die Richtung bereits an, für die Queneau steht. Die jetzt wieder aufgelegte Übersetzung Eugen Helmlés folgt seinem Witz und Einfallsreichtum durch alle Stilebenen. Rolf Strube

Raymond Queneau: Odile. Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Eugen Helmlé. Manesse Verlag, Zürich/München 2009. 240 S., 19,95 €.

Rolf Strube

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