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Eugen Kogon 1978

© Imago

Michael Kogons Erinnerungen an seinen Vater: Er nutzte die Ungunst der Stunde

"Lieber Vati! Wie ist das Wetter bei Dir?" Michael Kogon hat seine Erinnerungen an den eigenen Vater, den Verfasser des "SS-Staat", aufgeschrieben.

Das 20. Jahrhundert wurde als das Zeitalter der Extreme, der Ideologien, der Weltkriege, der entfesselten Technik bezeichnet, dabei war es vor allem das Jahrhundert der ungewöhnlichen Schicksale. All die Verwerfungen, Brüche und Verluste haben besondere Lebensläufe gezeitigt – zum Beispiel bei Eugen Kogon (1903–1987). Wie das Kind einer ukrainischen Jüdin zum engagierten Katholiken und Anhänger des christlichen Ständestaates wird, von den Nationalsozialisten für sieben Jahre in Haft genommen wird, wie aus dem Überlebenden von Buchenwald einer der engagiertesten Publizisten und politischen Erzieher der Bundesrepublik wird, hat schon etwas von einem erstaunlichen Jahrhundertleben. Kogon war nach der Befreiung über 40 Jahre lang rastlos aktiv, als Autor („Der SS-Staat“), als Dozent, als Publizist („Frankfurter Hefte“) und als Fernsehmoderator („Panorama“), so dass er keine Zeit fand, Memoiren zu schreiben. Eine anschauliche Schilderung dieser Persönlichkeit hat jetzt sein ältester Sohn publiziert.

Von 1938 bis 1945 war er in Haft

Eugen Kogon wurde 1903 in München unehelich geboren, er wuchs bei Pflegeeltern und in einem katholischen Internat auf. Wieweit die anderen Vorfahren Juden waren (vermutlich ja), war nicht zu klären, aber in der NS-Zeit von lebenswichtiger Bedeutung. Seit Mitte der 20er Jahre war er in Wien als Journalist tätig, trat für den christlichen Ständestaat ein, eine autoritäre Volksgemeinschaft, galt den Nazis aber als Gegner. Beim Anschluss Österreichs schwebte er in Gefahr, ein Fluchtversuch scheiterte, von 1938 bis 1945 wurde er in Haft gehalten, formell als Zeuge in anderen Strafverfahren.

Nach Monaten in einem Wiener Gefängnis wurde er im September 1939 nach Buchenwald gebracht, später zweimal für längere Zeit wieder nach Wien verlegt, verhört, vertröstet und 1942 endgültig als Schutzhäftling 9083 ins Lager Buchenwald gesteckt. Zweimal wurde er, offiziell als „Volljude“ eingestuft, für den „Transport“ nach Auschwitz vorgesehen. Gerettet hat ihn beide Male der berüchtigte Lagerarzt Ding-Schuler, der ihn als Schreiber und Hilfskraft benötigte. Derselbe SS-Mann rettete auch den französischen Widerständler Stéphane Hessel, nachdem ihn Kogon überzeugt hatte, dies würde ihm nach dem Krieg nützen.

An Kogon war ein Schriftsteller verloren gegangen; in der Haft schrieb er unermüdlich, Kriminalromane, Essays, politische Programme, auch Briefe oder Kassiber an seine Frau und seine drei Kinder. „Mein Vater wusste die Ungunst der Stunde zu nutzen“, resümiert der Sohn.

Nach der Befreiung holte Kogon seine Familie sofort nach Deutschland

Die Botschaften aus der Haft, oft listig verschlüsselt, sowie die Briefe der Familie an den Vater machen einen Großteil des Buches aus. Sie sind aber eingebettet in den Bericht des ältesten Sohnes über seine „eingelagerte Kindheit“ im Schatten des heroischen, abwesenden Vaters. Wie es der Familie zwischen 1938 und 1945 erging und was die Haft und das ungewisse Schicksal des Vaters bedeutete, wie Krieg, Bomben, NS-Propaganda und die Eroberung Wiens durch die Russen, wie sich das alles auf die Psyche der Kinder, aber auch der energischen, mutigen, listenreichen Mutter auswirkte, wird hier anschaulich geschildert. Michael Kogon erweist sich als begabter Erzähler, dem schöne Porträts, packende Situationsschilderung und bitter-humorvolle Statistiken gelingen. Die Vorgeschichte und die publizistische Tätigkeit Eugen Kogons nach 1945 werden in kleinen Einschüben behandelt.

Nach der Befreiung holte Kogon seine Familie sofort nach Deutschland, er wusste, dass hier ein größeres Betätigungsfeld lag, auch wollte er seine österreichische Vergangenheit hinter sich lassen. Man bekommt eine Ahnung davon, wie belastend diese Erlebnisse für das weitere Leben waren, wie einschüchternd der Vater gewirkt haben muss, der ein gläubiger Katholik war und ein engagierter Erzieher und strenger Vater blieb.

Das vielfältige Buch seines Sohnes mit seinem hintergründigen Humor, seinen anschaulichen Szenen weckt den Wunsch nach einer umfassenden und gerechten Würdigung dieses Zeitzeugen, einer Biografie, die Eugen Kogons Vermächtnis in unsere konfuse Gegenwart rettet.

Michael Kogon: Lieber Vati! Wie ist das Wetter bei Dir? Erinnerungen an meinen Vater Eugen Kogon. Briefe aus dem KZ Buchenwald. Pattloch Verlag, München 2014. 527 Seiten, 22,90 Euro.

Manfred Flügge

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