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Stamm

© pa/dpa

Peter Stamm: Wie die Putzfrau zum Kind kommt

Verstörend, fast abstoßend: Der Schweizer Schriftsteller Peter Stamm erzählt in "Sieben Jahre" zwei seltsame Liebesgeschichten.

Es sind widerstreitende Regungen, die Peter Stamms neuer Roman „Sieben Jahre“ auslöst. Bei der Lektüre wird man unweigerlich in den Sog dieser klaren, schmucklosen und doch federnden Sprache von Stamm hineingezogen, deren einziger Schönheitsfehler höchstens darin besteht, dass die Protagonisten ausschließlich mit Vornamen bezeichnet werden und zunächst nur schwer Kontur gewinnen. Aufhören ist jedenfalls eine Unmöglichkeit, wie so oft bei dem 46-jährigen Schweizer Schriftsteller, der es in seinen Romanen und Kurzgeschichten so meisterhaft versteht, den Gründen zwischenmenschlicher Beziehungen auf die Spur zu kommen, mit all ihren unschönen wie unerklärbaren Seiten.

Denn verstörend, fast abstoßend sind die beiden Liebesgeschichten, die Stamm in Form einer Rückschau erzählt: die zunehmend trister werdende Geschichte von Alex, dem Ich-Erzähler, und seiner Jugendfreundin Sonja und wie sie sich kennen-, lieben und letztendlich entlieben lernen. Und die höchst seltsame von Alex und der Polin Iwona, die sich parallel zu der zwanzig Jahre währenden, im München der späten achtziger Jahre beginnenden Beziehung zwischen Alex und Sonja entwickelt. Die bibelfeste, streng katholische und sich als Putzfrau illegal in Deutschland durchschlagende Iwona ist weder hübsch noch charmant noch teilt sie die Interessen von Alex, der sie in einem Biergarten kennenlernt: „Sie tat mir leid, gleichzeitig ärgerte mich ihre lammfromme, geduldige Art“, bezeichnet Alex eines seiner ambivalenten Gefühle ihr gegenüber. Nach ihrer ersten Nacht – er betrunken und nackt, sie angezogen, aber hingebungsvoll – ist er jedoch angetan: „Mit Iwona hatte ich mich erwachsen gefühlt, verantwortlich und dabei ganz frei.“

Und so seltsam er das Ganze findet, so sicher ist sich Iwona, die ihn rückhaltslos liebt: „Die Vorstellung, von Iwona auserwählt worden zu sein, hatte etwas Unheimliches. Warum ich?“ Das ist die letztlich entscheidende Frage, der Alex bis zum Ende des Romans auf den Grund zu kommen versucht, ohne eine Antwort darauf zu finden. Er entzieht sich Iwona, sieht sie nur in großen Jahresabständen, und Stamm führt derweil aus, was Alex mit Sonja widerfährt, „dem absoluten Gegenteil von Iwona: Sie war schön und gescheit und redete viel, sie hatte Charme und eine natürliche Sicherheit.“ Und sie kommt aus bürgerlichen Verhältnissen, studiert wie Alex Architektur und gründet mit ihm ein Architekturbüro, das sie erfolgreich führen, dann aber in Auftragsnöte und in die Insolvenz gerät.

Es hat was Zwingendes, wie Stamm diese konventionelle, sich wie von selbst ergebende Beziehung beschreibt, wie er dieser Riss für Riss verleiht, wie Sonja trotz all ihrer Vorzüge vor allem aus Fassade besteht und einen Status quo aufrechtzuerhalten versucht, der ausschließlich ihren bürgerlichen Vorstellungen von Glück genügt, aber weder ihr noch Alex gerecht wird. Wie nebenbei lässt Stamm so auch in seinen Roman die Stimmung und das Dilemma der Generation der heute 40-Jährigen einsickern: Sie trägt noch letzte Illusionen der Jugend in sich. Und ist doch heillos beschäftigt mit den Kompromissen der mittleren Jahre. So wie eben auch Alex. Er ist ein typischer, manchmal arg willenloser Stamm-Held, der sich treiben lässt, dem es nicht liegt aufzutrumpfen, die Ellenbogen herauszufahren – nicht bei den Freunden, die ihre Karriere machen, nicht bei Sonja, deren Auffassung von Architektur er überhaupt nicht teilt. Selbst ihre Beziehungsödnis weiß er noch eine besondere Note abzugewinnen: „Vielleicht funktionierte unsere Beziehung ja gerade, weil wir uns nie wirklich nähergekommen waren." Und nicht viel anders ergeht es ihm mit Iwona, zu der er sich trotzdem auf eigentümliche Weise hingezogen fühlt, deren Macht er akzeptiert: „Ich hatte keine Wahl, ich konnte nicht anders.“ Freiheit sieht anders aus, wiewohl er die Beziehung zu Iwona gern mit Freiheit verwechselt, gerade im Vergleich zu den Zwängen seiner Ehe. Und er kann schließlich auch nicht anders, als ein Kind mit ins Beziehungsspiel kommt und die Geschichte sich derart zuspitzt, dass Alex das Kind, das er mit Iwona gezeugt hat, mit Sonja adoptiert. An dieser Stelle bekommt „Sieben Jahre“ etwas den Hautgout einer allzu fixen Versuchsanordnung (selbst diese Schmach bringt Sonja ja noch angesichts eigener Kinderlosigkeit in ihrem Lebensplan unter! Und Alex macht, weil es praktisch ist, einfach mit). Und da wird der Roman auch eine Spur zu religiös: das ungewollte, bei den wenigen, mitunter ohne Beischlaf stattfindenden Treffen mit Iwona überraschend geborene Kind als Heiland, als Rettung einer in komplette Schieflage geratenen Ehe. Selbstredend deutet Stamm einen Ausweg wie diesen nur an, sind die Beschädigungen aller Beziehungen zu groß, als dass sie von Dauer sein könnten.

Am Ende regiert die Melancholie – und die Einsicht über die Unmöglichkeit beider Liebesmodelle, die Peter Stamm hier so unerbittlich wie unterhaltsam vom Erzählband hat rollen lassen.

Peter Stamm: Sieben Jahre. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 298 Seiten, 18,95 €.

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