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Da geht's zu Kafka. Schild vor dem Neuen Jüdischen Friedhof in Prag.

© Björn Rosen

Literaturkolumne "Fundstücke": Kafka kann auch lachen

Unheimlich, rätselhaft, düster - so wird Franz Kafka häufig gesehen. Doch der Schriftsteller war auch komisch, wie ein neuer Band zeigt.

Die Tage werden kürzer, das Dunkel wächst, und so bedarf der lesende Mensch auch wieder mal der lichten, erheiternden Lektüre. Also Kafka?

Das klingt wie ein Witz. Aber: Franz Kafka, den unzählige Exegeten in Artikeln, Büchern, Theaterstücken und Filmen zum großen Schmerzensmann der Weltliteratur erhoben haben, er war auch komisch. Sein Freund und posthumer Herausgeber Max Brod, der gegen Kafkas Willen viele Manuskripte für die Nachwelt bewahrt und dann vor den in Prag einmarschierenden Nazis gerettet hatte, er gab ihm als Erster den zumeist tragischen Flor. Kafkas Sterben an Lungentuberkulose, später der gewaltsame Tod auch seiner jüdischen Welt, haben an diesem Düsterbild mitgewirkt – wie das Unheimliche oder Rätselhafte im „kafkaesken“ Werk.

Ein kleiner, persönlicher Reader

Manche Hellsichtige aber haben schon recht früh sowohl den tagträumerischen Realismus als auch die zum Lächeln und gar Lachen ladende Seite Kafkas bedacht. Martin Walser etwa, der gerade über Kafka promoviert hatte, schrieb 1962 in einem Aufsatz von der „buchstäbliche(n) Grausamkeit seiner schlimmsten Geschichten“, die Kafka jedoch mit einer ebenso starken „komischen Güte“ verbinde. Auf Ähnliches hat der gleichfalls über Kafka promovierte Verleger und Kafka-Dokumentarist Klaus Wagenbach hingewiesen, noch bevor er sich gerne als „Kafkas lebende Witwe“ bezeichnete.

Zu seinem 88. Geburtstag in diesem Sommer hat Wagenbach nun einen kleinen, persönlichen Reader zusammengestellt, als Geschenk für Leser und Lacher: Franz Kafka „Ein Käfig ging einen Vogel suchen. Komisches und Groteskes“ (Wagenbach Verlag, Berlin, 141 Seiten, 18 Euro). Schon das Titel-Zitat, mit dem der Kafka-Liebhaber George Tabori einst ein eigenes, ganz melancholisch-ironisches Kafka-Theaterpotpourri überschrieben hatte, deutet die Mischung aus Absurdem, Amüsantem und verdreht Wirklichem an. In seiner Einleitung gibt Wagenbach einen Kurzabriss der Geschichte des tragisch eingefärbten Kafka-Bildes. Auch dies buchstäblich. Wagenbach stellt das letzte Porträtfoto Kafkas aus dem Jahr 1923 einer in den 50er Jahren von der Werbeabteilung des S. Fischer Verlags retuschierten Version gegenüber. Aus einem keineswegs traurig dreinschauenden Herrn von 40 Jahren ist nun ein düster verjüngter Mann geworden mit mystisch, ja fast fanatisch leuchtenden Augen.

Basisbuch für Fans und Neugierige

Von Wagenbach über Hanns Zischler („Kafka im Kino“) bis zur dreibändigen Kafka-Biografie von Reiner Stach reicht nun das Gegenbild. Also beginnt Wagenbach mit dem Auszug aus einem Brief Kafkas an seine (Ex-)Verlobte Felice Bauer aus dem Jahr 1913, erster Satz: „Ich kann auch lachen.“ Kafka beschreibt darin seinen geradezu hysterischen, durch nichts zu stoppenden Lachanfall während einer Feierstunde mit dem ihn an Kaiser Franz-Joseph erinnernden Präsidenten der Prager Arbeiter-Unfall-Versicherung, für die er als Hausjurist tätig war. Doch der Schmerz als Kehrseite des Scherzes fehlt keineswegs in der Auswahl aus Kafkas Prosa, Tagebüchern und Briefen. Am Ende steht darum Wagenbachs Lieblingsstück, die Kurzerzählung „Erstes Leid“, in der ein Trapezkünstler beschließt, Tag und Nacht nur noch auf einem Trapez zu leben. Was bei unvermeidlichen Gastspielreisen dazu führt, dass der Künstler die Bahnfahrten im Gepäcknetz seines Zugabteils verbringt ...

Reiner Stach, der große Kafka-Biograf, hat seiner monumentalen Trilogie inzwischen noch einen Band hinterhergeschickt: „Kafka von Tag zu Tag. Dokumentation aller Briefe, Tagebücher und Ereignisse“ (S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M., 637 Seiten, 34 Euro). Statt der ausdeutenden Lebens- und Werkbeschreibung ist dies eine Chronik, die jenseits ausführlicher Interpretationen implizit doch viel miterzählt von Kafkas Zeit (1883–1924), also auch kurz erläuterte Daten zu Personen und Ereignissen in seinem Umfeld liefert. Fans und Neugierigen ist dieses Basisbuch unbedingt zu empfehlen. Und auch hier kreuzt sich das Tragische mit dem (manchmal unfreiwillig) Komischen. Kafkas Tagebucheintrag am 2. August 1914: „Deutschland hat Russland den Krieg erklärt. – Nachmittags Schwimmschule.“

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