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The Rolling Stones 2019 auf ihrer "No Filter"-Tour in Houston, Texas, von links nach rechts Ronnie Wood, Mick Jagger, Charlie Watts and Keith Richards.

© AFP

Nach dem Tod von Charlie Watts: Lösen sich die Rolling Stones auf?

Verdammt bis in alle Ewigkeit: Die Rolling Stones galten bislang als unsterblich. Mit Charlie Watts' Tod steht ihre Zukunft in Frage. Ein Kommentar.

Charlie Watts ist tot. Als diese Nachricht am Dienstagabend verkündet wurde, mochte man das zunächst gar nicht glauben. Ein Bandmitglied der Rolling Stones? Gestorben? Wirklich? Der Grund für diese Skepsis liegt darin, dass die Rolling Stones seit Jahrzehnten eine Aura der Unsterblichkeit umgibt.

Klar, diese Aura haben sie wegen ihrer Songs, wegen „Satisfaction“, „Sympathy For The Devil“ oder „Gimme Shelter“. Aber auch wegen ihrer unermüdlichen, leibhaftigen Tourerei. Das Altern, damit einhergehende Gebrechen, der Tod, so hat es dabei den Anschein, ist bei ihnen einfach nicht vorgesehen.

Anfang August hatte die Band zwar bekanntgegeben , dass Charlie Watts bei der anstehenden „No Filter“-Tour nicht dabei sein und durch Steve Jordan ersetzt werde. Doch klang das mehr wie eine Unpässlichkeit des Drummers, die schnell in einem Krankenhaus behoben wird.

Die Biologie überlisten

Die Stones, lautete abermals die Botschaft, machen weiter und immer weiter, jenseits aller Biologie – wozu passt, dass sie auf der Bühne dann und wann schon mal wie Avatare ihrer selbst wirkten.

Und tatsächlich: Was konnte ihnen groß passieren, nachdem sie die drogenverhangenen sechziger und siebziger Jahre überlebt, sie sich auch 1969 noch rechtzeitig ihres Gründungsmitglieds Brian Jones entledigt hatten (der kurz darauf den Drogentod starb)?

Genau, nichts, höchstens mal ein Sturz von der Leiter. Die Stones wendeten die Rock’n’Roll-Devise „Live fast, die young“ in ihr Gegenteil: Lebe gesund, sterbe nie. Jagger und Co hielten sich fit, stählten ihre Körper. Was ihnen umso mehr zugute kam, desto weniger kreativ sie wurden. So besteigen alle Mitglieder der Band auch in ihrem achten Lebensjahrzehnt noch die Konzertbühnen, als überlebensgroße globale Marke.

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Damit sind sie Vorbild und stilprägend für viele andere große Pop- oder Rockbands, die sich nicht zerstritten und ihr Erwerbsmodell gefunden haben. Man denke an die Red Hot Chili Peppers oder U2, deren Mitglieder inzwischen auch alle an oder über sechzig sind und besser aussehen als zu Anfang ihrer Karrieren.

Überdies sind die Stones eine Art Rollenmodell für die Entwicklung vor allen in den westlichen (Leistungs-)Gesellschaften: Die Jugend hört mit sechzig nicht auf. Das Alter wird so lange ignoriert, wie es geht, der Tod sowieso. Dazu kommen Arbeit am Selbst, Genussarbeit, die kapitalistischen Verwertungszusammenhänge.

Pop und Rock waren in dieser Hinsicht nie unschuldig, Pop unterliegt dem Leistungsprinzip. Die Rolling Stones waren spätestens seit den achtziger Jahren oberste Verfechter dieses Prinzips.

Ende der Welt vorstellbarer als das Ende der Stones?

"Wieso können wir uns heute eher das Ende der Welt vorstellen als das Ende des Kapitalismus?“, lautete eine der meistzitierten Leitfragen des 2017 verstorbenen britischen Pop- und Kulturtheoretikers Marc Fisher. Diese Frage lässt sich bezüglich der Stones, erst recht nach dem Tod von Watts, und vor dem Hintergrund der Klimakatastrophe abwandeln: Wieso können wir uns eher das Ende der Welt als das Ende der Rolling Stones vorstellen?

Ob Mick Jagger, Keith Richards und Ron Wood wirklich über eine Auflösung und das Ende des Tourens nach knapp sechzig Jahren Bandexistenz nachdenken, bei aller Trauer, die über den Tod ihres Mitmusikers und Freundes herrscht? Man mag auch das kaum glauben.

„From Here To Eternity“, lautet ein beliebter Film- und Songtitel, von Iron Maiden über Nick Cave bis hin zu Giorgio Moroder. Er gilt vor allem für die Rolling Stones. Was für eine Tragik!

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