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Wem Ehre gebührt. Olga Tokarczuk, polnische Nobelpreisträgerin, und Peter Handke bei der Zeremonie. Foto: Nackstrand/AFP

© AFP

Kultur: Lügen und höhere Weihen

Verleihung der Literaturnobelpreise in Stockholm: Betroffene vom Balkan sind nach Schweden gekommen, um zu protestierten und an die Opfer zu erinnern – und Peter Handke mag nicht von Genozid in Bosnien sprechen.

Man kann sicher sein, dass Peter Handke die drei Frauen von der Gesellschaft für bedrohte Völker an diesem Dienstagnachmittag beim Betreten des Stockholmer Konzerthauses nicht gesehen hat. Schon anderthalb Stunden, bevor hier die Nobelpreis-Verleihungszeremonie um 16.30 Uhr beginnt, halten sie ihr großes gelbes Transparent in die Höhe, auf dem sie ihn bitten, er möge sich entschuldigen bei den Opfern von Srebrenica, heute! Vor ihnen auf dem Boden zwei weitere Plakate, darauf die Aufforderung „Mr. Handke, talk to us“ und „No Nobel For Fake News“.

Die drei jungen Frauen wirken verloren an einer der äußersten Ecken des Hötorget Storg, dem Platz vor dem wuchtigen, mattblauen Konzerthaus, in dem alljährlich die Nobelpreisverleihung stattfindet. Die schwedische Polizei hat den Platz weiträumig abgesperrt, überall stehen Beamte, sie patrouillieren in Zweierteams schwer bewaffnet in der benachbarten Fußgängerzone, und nach und nach strömen die Gäste in ihren Fracks und Abendkleidern in das Gebäude. Drinnen wartet das 560-köpfige Publikum zunächst auf die königliche Familie, die vorn rechts auf der mit blauen Samt ausgelegten Bühne auf vier goldblauen Stühlen Platz nimmt, bevor die Nobelpreisträger den Saal betreten: fast als Letzte die für Literatur 2018 und 2019, Olga Tokarczuk und Peter Handke.

Das weiße Frackhemd scheint Handke zu groß zu sein, doch sieht er besser aus als bei seinen vorangegangen Auftritten in Stockholm. Natürlich sagt er nichts bei der Entgegennahme seiner Nobelurkunde aus den Händen von König Carl Gustaf. Geehrt wird Handke nach den Preisträgern für Physik und Chemie und nach Olga Tokarczuk. Keiner der Preisträger ergreift hier das Wort, die Zeremonie findet nach festen Regeln statt. Das Werk, die Leistungen der Geehrten werden kurz lobgepriesen, darauf folgt die Preisübergabe. Auch Handkes Laudator, das Schwedische-Akademie-Mitglied Anders Olsson, sagt kein Wort zu der Debatte um Handke.

Während die ersten roten Nobelpreisbusse vorfahren, um die Gäste der Verleihungszeremonie ins Rathaus zu bringen, wo das Nobelbankett stattfindet, beginnt gut ein Kilometer weiter östlich auf dem Norrmalm Storg die Demonstration gegen Handke. Wegen ihrer angekündigten Größe von bis zu tausend Menschen durfte sie nicht direkt vor dem Konzerthaus stattfinden. Tatsächlich haben sich hier ungefähr tausend Menschen eingefunden, mit Schildern, auf denen steht „Read my lips, Peter Handke: Genocide“ oder „Was there no one else“, um zu hören, was die Mütter von Srebrenica zu sagen haben, was die einstige „Le Monde“-Journalistin Florence Hartmann, die seinerzeit in Jugoslawien Korrespondentin war, nach Stockholm trieb oder Vahidin Preljevic, der in Sarajewo Germanistik lehrt.

Preljevic, ein schwergewichtiger Mann mit lockigem Haar, ist schon einen Tag zuvor angereist. Da sitzt er im Café 60 an der verkehrsumtosten Sveavägen und erzählt, dass er zum ersten Mal an einem Protest teilnehme und er das durchaus ein bisschen seltsam finde. Doch ist es ihm ein Anliegen. Er beschäftigt sich mit Handke, seitdem er 1992 aus Bosnien nach Deutschland flüchten musste, dann in Halle studierte und begeistert war von dessen Büchern aus den Sechzigern und Siebzigern. Und erst recht wurde ihm Handke zu einem Thema, als er aus Zufall im Januar 1996 die „Süddeutsche Zeitung“ mit dem ersten Teil von Handkes „Winterlicher Reise an die Donau, Save, Morawa und Drina“ in die Hand bekam und entsetzt war. Nun sagt Preljevic: „Mir macht Sorgen, dass hier ein Werk prämiert wird, das eine Faktenverachtung befeuert, das Geschichtsfälschung betreibt. Eine Kultur der Lüge erhält nun höhere Weihen.“

Preljevic ist ein ruhiger, abwägender Mann. Ihm geht es darum, in Stockholm ein Zeichen zu setzen. Er weiß, dass in Stockholm von Handke nichts zu erwarten ist, die Dinge während der Nobelpreiswoche ihren gewohnten Lauf nehmen. So hat man in diesen Tagen auch den Eindruck von zwei Welten, die sich so gar nicht berühren.

Die Nobelpreis-Foundation betreibt ihr business as usual, angefangen mit der Unterbringung der Preisträger im Grand Hotel schräg gegenüber der Altstadt mit Blick auf das Königshaus. Im Foyer gibt es einen Extrabereich mit dem so genannten Nobeldesk, wo die Gäste der Zeremonie und des Banketts ihre Eintrittskarten abholen müssen. Das Nobelmuseum drüben in der Altstadt, im Haus der Schwedischen Akademie eingerichtet, wirbt an diesem Dienstag, dem Nobeltag, mit freiem Eintritt, „feiern Sie mit uns“. Was sich viele der Besucher des Weihnachtsmarktes auf dem engen Platz vor der Akademie nicht zweimal sagen lassen. Hier kann man sich über alle Nobelpreisträger seit 1901 informieren und im Nobelbistro zu Mittag essen. Und einen Shop hat das Museum auch, wo mehr Bücher von Olga Tokarczuk liegen als von Peter Handke. Genau wie in anderen Buchhandlungen der Stadt, etwa der Filiale der Akademibokhandeln in der Kungsgatan. Vier Tokarczuk-Romane, vier Handke-Bücher, darunter „Langsame Heimkehr“ und „"Mein Jahr in der Niemandsbucht“ von 1994.

Und „Die Obstdiebin“, Handkes letztes Jahr veröffentlichter Roman? Fehlanzeige. „Den liest in Schweden keiner“, sagt eine der Angestellten und fügt hinzu: „Auch die Mitglieder der Schwedischen Akademie haben Handke nicht richtig gelesen.“. In der Tageszeitung „Dagens Nyheter“ hat am Montag der in Bosnien geborene schwedische Regisseur, Schriftsteller und Politiker Jasenko Selimovic nochmal mit der Akademie abgerechnet und die Handke-Jugoslawien-Bücher seziert. Überhaupt fragen sich viele in Stockholm, wie es mit dem Komitee weitergeht. Befürchtet wird, dass nach den Skandalen der vergangenen Zeit die Handke-Wahl und die Debatte darüber genauso ausgesessen, es also keine Neuerungen geben wird.

Selimovic wiederum moderiert am Montagabend eine Veranstaltung im ABF-Haus, einem mehrgeschossigen hässlichen Klinkergebäude aus den frühen sechziger Jahren in der Sveavägen. Die Veranstaltung dient als Vorbereitung für die Demonstration am Norrmalm Storg, mit dabei unter anderem die Übersetzerin Alida Bremer, der Direktor des Srebrencia Memorial Centers Emir Suljagic, der das Massaker dort fast 18-jährig nur überlebte, weil er für die UN-Truppen als Übersetzer tätig war. Preljevic und Florence Hartmann sind da. Und der Direktor der Civil Rights Defenders für Europa, Goran Miletic, der 1972 in Serbien geboren wurde.

Den Krieg, so erzählt dieser am Vormittag in seinem Büro in einem Hochhaus am Sergels Torg, Stockholms zentralem Verkehrsknotenpunkt, musste er nicht mitmachen, er habe sich nach zwei Monaten Grundausbildung in der jugoslawischen Armee psychisch krank schreiben lassen können. Er verweist darauf, wie wichtig Handke für die serbischen Nationalisten sei, angefangen von Milosevic. Heute seien sie stolz darauf, einen „unbezahlten“ Freund zu haben. Abends im ABF- Haus erklärt er, was für ein Schlag die Wahl Handkes für die Demokratiebewegung in Serbien ist, wie er sich überhaupt nie mit serbischen Oppositionellen getroffen habe.

Wie sagte es Handke an seinem ersten Tag in Stockholm einem Fernsehsender? Das Wort Genozid verwende er nicht, er benenne das, was in Srebrenica passiert ist, mit einem viel schlimmeren Begriff: Brudermord. Was für ein Gegensatz dazu die Mütter von Srebrenica, für die der Schriftsteller ja auch wenig Empathie hat: Eine von Ihnen sagt im ABF-Haus, sie wolle vor allem, dass so etwas wie im Jugoslawien-Krieg, wie in Srebrenica, nie wieder passiert. Das muss man ein Friedensprojekt nennen, anders als Handkes Jugoslawien-Bücher.

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