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Fabelhafte Zeiten. Der Held brüstet sich damit, dass er die Beatles – hier 1963 in London – und die Stones erlebt hat.

© picture-alliance / dpa

Vorabdruck von H.P. Daniels: Mach’ den Verstärker an, Kallicalo!

Ausbüxen, um anzukommen: H.P. Daniels folgt in seinem Roman „Runaway“ dem Beat der 60er Jahre. Ein Vorabdruck.

Die sechziger Jahre waren eine Ära der Befreiung. Popmusik lieferte dazu die Heilsbotschaft, mit Zeilen wie „Do wah diddy diddy dum diddy do“. Jugendliche wollten nichts mehr von der engen Moral der Eltern wissen und rebellierten gegen die alten Autoritäten. H. P. Daniels erzählt in seinem Roman „Runaway“ von zwei 16-Jährigen, die von einem Leben „On The Road“ wie bei Jack Kerouac träumen, aus München ausbüxen, in Hamburg untertauchen und an eine aufstrebende, ziemlich wilde Band geraten. Daniels, Jahrgang 1951, ist selber Musiker. Für den Tagesspiegel schrieb er viele Pop-Kritiken und Nachrufe. Sein Buch, aus dem wir hier einen Vorabdruck veröffentlichen, erscheint am 4. März im Transit-Verlag (183 Seiten, 20 €).

Der Laden war klein. Die Bühne kaum höher als eine Treppenstufe. Sehr ernst und konzentriert baute Wolfgang sein Schlagzeug auf. Und Männi seinen AC30. An den er seine rote Höfner Halbresonanzgitarre kabelte. Während die anderen laut lachten, alberten und an der Bar rumstanden. Und einen Joint rauchten.

– He, vielleicht sollten wir heute Stumpfi spielen.

Irgendwann gingen sie alle auf die Bühne, bauten den Rest der Anlage auf. Kallicalo hängte seinen Bass um. Einen Framus, der mit einer weißen pockennarbigen Kunstlederhaut überzogen war. Winni packte seinen Schellenring aus. Sie spielten ihren eigenen Song Misunderstood, von ihrer Single. Der neue Drummer war gut. Über den Vox AC30 klang Männis Gitarre besser denn je, überhaupt fand ich ja schon immer, dass er ein toller Gitarrist war. Was er schon so drauf hatte. Endis Gitarre klang etwas dünn dagegen. Über den kleinen Kaufhausverstärker: zirpelig und fitzelig. Und Kallicalos Bass knarzte verzerrt. Winni sang.

– Hey babe, I never thought I could ever be so misunderstood.

Das knallte schon mal gut rein. Die B-Seite ihrer Single. Sie spielten das Stück bis zum Gitarrensolo.

– Okay, reicht, sagte Winni.

Sie brachen ab, gingen von der Bühne.

– Wir hätten vielleicht noch mal Stumpfi durchspielen sollen, oder?

– Ach was, das kriegen wir auch so hin.

Winni steckte sich eine Zigarette an.

– Das kriegen wir doch immer hin. Und wenn wir was vergeigen, merkt das doch sowieso kein Schwein.

– Seid ihr sicher, dass ihr Stumpfi spielen wollt?

Die Band, bis auf Wolfgang, den neuen Drummer, zog sich an einen der hinteren Tische zurück. Sie wollten das Programm besprechen.

Die Leute strömten. Junge Typen und Mädchen in unserem Alter. Oder ein bisschen älter. Anfang zwanzig vielleicht. Obwohl die meisten älter aussahen. Etliche Langhaarige. Viele Mädchen. Lange blonde Haare und Ponyfrisuren.

– Die Mädchen sind fast alle hübscher hier als in München, findest du nicht auch Riemschneider?

– Quatsch. Völliger Blödsinn, fand Riemschneider.

Der kleine Laden füllte sich schnell. Dichtes Gedränge. Und Gedrängel. Auf die Fans der Enemies war immer noch Verlass.

Ich mochte Bühnen in Beat-Schuppen. Allein schon deren Anblick. Bühnen, die bereit waren für den Auftritt einer Band. Bühnen der Erwartung, der Vorfreude. Auf denen ein Schlagzeug stand – Wolfgang hatte einen Ludwig–Verstärker, Gitarren und Mikrofone. Vox AC30. Schellenring, Rumbarasseln.

Winni nahm den Schellenring, der am Mikro-Stativ hing, sehr lässig, zog noch einmal an der Zigarette, schnipste sie auf den Boden, trat sie mit dem hohen Absatz seiner Beatles-Boots aus, warf einen arroganten Blick ins Publikum. Und war jetzt der Star des Abends, der Leadsänger der Enemies. Alle schauten auf Winni, der auf der Bühne viel größer wirkte. Der kleine Winni jetzt ganz groß. Der als Frontmann der Enemies alle überragte.

Zurufe aus dem Publikum:

– Hey Winni!

Manche riefen auch den anderen etwas zu. Um zu zeigen, dass sie die Band gut kannten, alle mit Namen, und sie anfeuerten. Freche Sprüche machten, um lässig zu wirken.

– Eh, Endi, hast du deine Gitarre auch richtig gestimmt? Wird das denn auch was? Hast du schon ein bisschen vorgeglüht?

Ich sah, dass Endi eine neue Gitarre hatte: Eine geflammte Höfner Galaxie. So ziemlich das Schärfste, was es gab. Von den Gitarren, die noch halbwegs erschwinglich waren für einen Schüler. Für eine Fender Telecaster hätte man etwa tausend Mark hinlegen müssen. Eigentlich war auch schon eine Höfner Galaxie unerreichbar. Über 400 Mark. Schon in Richtung 500 Mark. Viel zu teuer.

Meine Mutter hatte mir versprochen, mir eine Höfner Galaxie zu schenken, eine schwarze. Wenn ich die neunte Klasse geschafft hätte.

Dann war ich zum zweiten Mal in der neunten Klasse und spielte immer noch auf der Framus Strato. Und jetzt war ich hier und schwänzte die Schule. Ich wollte nicht an meine Mutter denken. Jetzt nicht. Und nicht an die Schule. Bloß nicht. All das vergessen. Alles.

– Vergiss nicht, deinen Verstärker anzumachen, Kallicalo!

– Ey Männi, mach mal den Erich!

– Welchen Erich?

– Den Klapperton!

– Ach, seid ihr wieder witzig!

– Kann der neue Drummer denn schon das Programm?

Und ob er konnte. Jedenfalls, das was er spielte, war herausragend. Er war um Klassen besser als Ditty, sein Vorgänger, den die Eltern ins Internat verbannt hatten. Um ihn dem schlechten Einfluss der Enemies zu entziehen. Wie es mein Vater auch gerne getan hätte.

– Oder wolltest du nur wieder zu deinen Freunden? Zu dem mit der Band? Zu dem du in den Ferien immer verschwunden bist? Wie hieß der noch? Carstens? Wolltest du zu dem? Und zu dieser Band? Dieser Carstens schien mir ja auch eher eine zwielichtige Gestalt zu sein. War das der Grund? Ich suche immer noch nach einer vernünftigen Erklärung.

Wolfgang hatte einen mächtigen Rumms. Das hörte und sah man schon beim ersten Stück: Run, Run, Run von den Who. Das war neu im Programm. Hatte ich noch nicht gehört von den Enemies. Und es ging gleich mächtig los.

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