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Daniel Harding dirigiert Berliner Philharmoniker: Mahler und der Hinterhalt der Konventionen

Für den erkrankten Kirill Petrenko sprang spontan Daniel Harding ans Pult und übernahm die Berliner Philharmoniker und Gustav Mahlers Sechste. Keine leichte Aufgabe, die Harding sportlich anging.

Wer ins Konzert geht, um die Interpretation eines bestimmten Dirigenten zu hören, muss mit einem Phänomen leben, das Einspringer heißt. Da Kirill Petrenko seinen mit Spannung erwarteten Auftritt erkrankt absagen musste, suchten die Berliner Philharmoniker einen Ersatz, der blitzschnell Mahlers Sechste übernehmen konnte. Keine leichte Aufgabe, logistisch wie auch künstlerisch, hätte doch Petrenkos akribische Arbeitsweise wunderbar zu dem rätselhaften Riesenwerk gepasst. Abgesehen davon ist der GMD der Bayerischen Staatsoper auch als möglicher Nachfolger von Simon Rattle immer wieder im Gespräch.

All diese Gedanken gilt es abzuschütteln, wenn Daniel Harding ans Pult tritt. Er ist den Philharmonikern vertraut, hat Mahlers Klangwelten mehrfach durchmessen und die Sechste in diesem Jahr bereits mit dem BR-Symphonieorchester aufgeführt. Das macht ihn zum idealen Einspringer, der auch mit einer Probe weniger als üblich einen souveränen Eindruck vor dem Orchester hinterlässt. Das Podium zeigt sich angesichts der Mammutbesetzung bei gleichzeitiger Krankheitswelle deutlich verjüngt: Zwölf Orchesterakademisten sind dabei und Gäste auch an ersten Pulten zu hören wie der zupackende Solohornist Jörg Brückner von den Münchner Philharmonikern.

Daniel Harding geht sein Dirigat sportlich an

Da wundert es kaum, dass Harding sein Dirigat in der Philharmonie eher sportlich angeht. Federn geht vor fleddern, ein sauberes Unisono ist wichtiger als die Erkundung tieferer Partiturschichten. Das klingt im eröffnenden Allegro energico noch angenehm unverkrampft. Wenig deutet hier auf eine überschärfte Wahrnehmung hin, auf den tragischen Versuch, seinen Platz einzunehmen in einem letztlich unverständlichen Universum.

Doch lässt der Sog der ersten Marschrhythmen nach, macht sich das Fehlen festerer Umrisse, klarer Kollisionen bemerkbar. Mahler scheint mit seiner Sechsten plötzlich in einen Hinterhalt der Konventionen geraten zu sein. Jetzt müsste der Dirigent von Steuern auf Gegensteuern umschalten, allerspätestens im Scherzo. „Wuchtig“ fordert es Mahler, und dies ist weniger als physische Qualität denn als psychische Zumutung gemeint. Diese Gefilde streifen Harding und die Philharmoniker nur sacht, wie auch die bizarr zerklüftete Welt des Finales runder klingt, als sie ist.

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