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Ihr überdimensionaler Hut, hier beim Auftritt auf dem Primavera-Festival im Mai, ist Erykah Badus Markenzeichen.

© Sergio Albert

Erykah Badu in Berlin: Mama ist eine Waffe

Ohne Erykah Badu wäre der aktuelle Boom von R’n’B-Künstlerinnen kaum denkbar. In Berlin feiert sich die Queen of Neo-Soul selbst.

Von Andreas Busche

Wenn es noch eines Beweises bedarf, dass Erykah Badu larger than life ist, dann sollte der überdimensionale Hut, der schon länger zum Bühnenoutfit der R’n’B-Exzentrikerin gehört, die letztgültige Antwort geben. Am Mittwochabend thront das markante Accessoire, das es locker mit Pharrell Williams’ breitkrempigem Vivienne-Westwood-Entwurf, der bei den Grammys 2014 die Modewelt vor Rätsel stellte, auf Badus Dreadlocks, als sie die Bühne der Verti Music Hall betritt. Es dauert nur zwei Songs, bis das gute Stück einen prominenten Platz auf einem Mikrophonständer findet, wo es den Rest der Show wie eine Trophäe hängt. Aber die Botschaft, gleichermaßen Fashion-Statement und Ausdruck unverbrüchlicher Individualität, ist klar: Erykah Badu – auch bekannt als Badulla Oblongata, Sara Bellum oder She Ill, wie sie zu Beginn scherzhaft meint – spielt in ihrer eigenen Liga.

Man tut Badu keineswegs Unrecht, wenn man sie als Geburtshelferin bezeichnet. Nicht nur hat die dreifache Mutter in ihrer Nebentätigkeit als Doula schon über 40 Frauen bei der Geburt emotional und psychologisch unterstützt. Erykah Badu gilt mit ihrem mehrfach ausgezeichnetem Debütalbum „Baduizm“ von 1997 auch als Begründerin des Neo-Soul – zu einem Zeitpunkt, als die Musikpresse Mary J. Blige und Shootingstar Aaliyah noch ratlos unter Hip-Hop abspeicherte.

Erykah Badus Karriere nahm seltsame Umwege

22 Jahre ist das inzwischen her, in denen die Karriere Badus die seltsamsten Umwege nahm: unter anderem mit einer längeren Auszeit, in der sie sich auf die Kindererziehung konzentrierte. 2008 kam sie mit den Konzeptdoppelalben „New Amerykah“ zurück, worauf sie für weitere sechs Jahre von der Bildfläche verschwand. 2015 veröffentlichte sie, dem Hip-Hop-Zeitgeist entsprechend, das Mixtape „But You Caint Use My Phone“ rund um das Thema Telefonie, auf dem sich auch eine kongeniale Coverversion von Drakes viralem Hit „Hotline Bling“ befand.

Nicht nur der kanadische Superstar holte sich zu Beginn seiner Karriere persönlichen Rat von der Queen of Neo- Soul, wie er einmal zugab. Auch der Boom von jüngeren R’n’B- und Hip-Hop-Künstlerinnen wie Janelle Monáe, Solange (die viel stärker von Erykah Badu als von ihrer älteren Schwester Beyoncé inspiriert ist), SZA, Syd oder Jamila Woods geht direkt auf den Einfluss Erykah Badus zurück. Es sind die „Achtziger und Neunziger-Babys“, wie sie zwischen zwei Songs ihre nachgewachsenen Fans nennt, die mit „Baduizm“ und dem Folgealbum „Mama’s Gun“ aufwuchsen – und in Berlin, wie eine spontane Umfrage ergibt, die Mehrheit des Publikums ausmachen. Doch auch als „Siebziger-Baby“ darf man sich in ihrer Obhut geborgen fühlen.

Erykah Badu ist eine launische Diva: nicht unsympathisch, aber definitiv eine Künstlerin, die das Gelingen einer Show auch dem Energiefluss des Universums anvertraut. An guten Abenden läuft die Show, ohne dass Badu viel mehr zu tun braucht, als eine Chemie zwischen sich und ihren Fans herzustellen – natürlich nur zu den eigenen Bedingungen. Sie lebt von dem Nimbus des exaltierten Stars, der Leben und Karriere als Gesamtkunstwerk betrachtet. Ihre Band um den Keyboarder RC Williams, der seit den neunziger Jahren mit so ziemlich jeder Größe des Conscious Rap gespielt hat, ist mehr dem psychedelischen Funk eines Sly Stone als dem Hip-Hop verpflichtet. Badu stellt ihre Musiker nicht einmal vor, das hier ist ihr großer Auftritt. Die Hip-Hop-Göttin der Fruchtbarkeit.

Die Sängerin predigt einen afrozentrisch geprägten Feminismus

Mutterschaft ist Badus großes Thema. Ihr afrozentrisch geprägter Feminismus bezieht sich direkt auf ihre Ahnenreihe vom Kontinent: Mit einer Art Sonnengruß würdigt sie die Kinder Afrikas, immer wieder wedelt sie mit einem Bündel Ähren durch die Luft – vielleicht um schlechte Energien auszutreiben. Das Publikum steigt auf solche Spleens dankbar ein. Während der Aufnahmen zu „Baduizm“, erzählt sie, war sie mit ihrem ersten Kind hochschwanger; sie summte dem ungeborenen Baby ihre Melodien vor, um es mit ihrer Kreativität zu nähren. Dass Badus Esoterik nicht jederfraus Sache ist, bekam sie 2018 zu spüren, als sie erklärte, dass sie für den damals schon wegen diverser sexueller Delikte beschuldigten R. Kelly beten würde.

Ihr Auftritt war durch eine gewisse dramaturgische Unwucht beeinträchtigt. Der Opener ist ein entzückendes Medley aus der Anrufbeantworterhymne „Hello“ und einem Cover von Todd Rundgrens „Hello, It’s Me“, „Love of My Life (An Ode to Hip Hop)“ erinnert an ihre Anfänge als Rapperin, mit dem gänseblümchenhaften „Apple Tree“ bewies sie erstmals Songwriter-Qualitäten. Doch das ohnehin schon zehnminütige „Green Eyes“ wuchert zu einem Jam aus, der den anderthalbstündigen Auftritt gegen Ende etwas ausfransen lässt. Da haben Badu ihre kosmischen Energien scheinbar schon verlassen. Auch das Kraftfeld, das sie mit Unterstützung ihrer Fans herzustellen versucht, zeigt nicht die gewünschte Wirkung. Erykah Badu verschwindet grußlos von der Bühne. Immerhin in dem beruhigenden Wissen, dass sich eine neue Generation von Musikerinnen bereits um ihr Vermächtnis kümmert.

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