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Kultur: Manchmal muss es krachen

Kleine Opernpause: Kirill Petrenko debütiert heute bei den Berliner Philharmonikern

Arrogant ist er nicht. Für einen jungen Stardirigenten gibt sich Kirill Petrenko bescheiden; Fragen nach seinen besonderen Vorzügen wehrt er leise lächelnd und doch unbeugsam ab. Der Generalmusikdirektor der Komischen Oper lässt lieber andere urteilen. Er sei ein Arbeiter, hört man also. Einer, der bis zum Umfallen mit seinem Orchester probiert, Stillstand als Schritt zurück begreift, der immer weiter tüftelt und experimentiert und danach immer noch nicht zufrieden ist. Er habe, so heißt es, etwas Geniales.

1972 in Sibirien geboren und in Wien ausgebildet, wo er 1997 als Kapellmeister an die Volksoper kam, hat sich Kirill Petrenko mit einem wunderlichen Projekt in die Riege der wichtigsten Dirigenten seiner Generation katapultiert. 1999 war er ans Meininger Theater engagiert worden, wo er zu Ostern 2000 mit der Regisseurin Christine Mielitz den „Ring des Nibelungen“ zur Aufführung brachte – ein Miniatur-Bayreuth in vier Tagen, das rasch überregional Schlagzeilen machte. Zwei Jahre später kam Petrenko an die Komische Oper, heute Abend gibt er sein Debüt bei den Berliner Philharmonikern.

Kirill Petrenko ist nicht nur beim Eigenlob zurückhaltend. Distanz zu sich selbst behält er auch beim Dirigieren, fast so, als ob es ihm gelänge, jene Versuchsanordnung zum Thema „Mensch vor Orchester“ fortzuführen, die zu Studienzeiten in Gang gesetzt und, einmal im Berufsleben angekommen, von den meisten seiner Kollegen wieder aufgegeben wird. Denn die eigene Wirkung auf das Ensemble zu beobachten und aufrichtig zu analysieren, persönliche Autorität immer wieder produktiv in Frage zu stellen – das gelingt längst nicht allen Pultstars.

Petrenko schon. Permanent beobachtet er seine Körpersprache. Sicher, die Musiker an der Komischen Oper wissen mittlerweile, wie er arbeitet. „Bestimmte Dinge muss ich nicht mehr ansagen.“ Aber noch immer prüft Petrenko sein Dirigat auf Herz und Hand, erlebt, dass zu viel Körpereinsatz grobe Klänge hervorbringen kann, dass eine konkretere, ökonomischere Bewegung ausgereicht hätte, um denselben Effekt zu erzielen. „Man spürt das an den Blicken der Musiker.“ Es ist ihm wichtig, dass ein Orchester genauso viel erreichen möchte wie er selbst. Petrenko will sein Ensemble nicht ziehen müssen. Dann wieder kann es geschehen, dass er mit einem Ergebnis zufrieden ist, während es die Musiker noch lange nicht sind. Das Bild vom willenlosen Orchester als Menschen-Instrument, das der Dirigent nurmehr bespielt, betrachtet Petrenko mit Argwohn. „Ich möchte nicht steuern. Als Dirigent darf man nicht stören, muss man so wenig wie möglich tun – umso freier ist das Orchester. Ich muss natürlich trotzdem die Seele eines Stückes vermitteln können, selbst explodieren zum Beispiel, wenn es auch das Orchester soll.“ Eine perfekt gezeichnete „Landkarte“ durch ein Stück hat Petrenko derweil immer. Wenn die Probenarbeit beginnt, muss das Ziel klar vor Augen stehen. Und doch kann es bei einem nächsten Mal geschehen, dass er sich korrigiert. Den „Don Giovanni“ hat er in Meiningen erarbeitet, nur um in Berlin doch wieder an der Interpretation herumzufeilen, hier ein Tempo zu ändern, dort eine Phrasierung.

Hat Petrenko eine Vorliebe für bestimmte Instrumentengruppen? Als guter Kapellmeister kommt er vom Klavier, mit elf Jahren debütierte er mit dem Orchester seiner Heimatstadt Omsk als Pianist. Die Streicher, sagt Petrenko also und lächelt fein, stünden ihm genauso fern wie die Bläser. Sein Klangideal ist die menschliche Stimme – lange Bögen, großer Atem. „Letzten Endes ahmen wir alle den Sänger nach.“ Unterdessen schätzt er eine scharfe Artikulierung, gibt zu, dass „man manchmal sehr krachen muss“ oder so leise spielen, dass ein Klang zu zerbrechen droht. Das sei es auch, was die Berliner Philharmoniker als Spitzenensemble auszeichne. Ihr Klang bleibe in jeder Dynamik fundiert, im Fortissimo stark, aber nicht betäubend, im Pianissimo kaum mehr zu hören und trotzdem präsent. Und: „Sie vermitteln das Gefühl großer Spontaneität und verlieren trotzdem Perfektion und Qualität nie aus den Augen.“

Christian Tetzlaff, mit dem Petrenko ebenfalls erstmalig arbeitet, wird Solist in Béla Bartóks zweitem Violinkonzert sein. Den anderen großen Programmpunkt des Abends, Sergej Rachmaninows zweite Symphonie, hat Petrenko selbst ausgewählt. Nicht etwa, weil es sich um eine spezifisch russische Komposition handelt. Auch nicht allein, weil er als Pianist „sehr oft und gern Rachmaninow gespielt“ hat. Sondern vor allem, weil dies eine tiefehrliche, persönliche Musik sei, weil es in ihr eine schier unglaubliche „Wellenhaftigkeit“ gebe, ein ständiges Auf und Ab: „Gerade dort, wo man glaubt, es ist nicht mehr steigerungsfähig, geht es doch immer wieder weiter.“

heute Abend 20 Uhr, Philharmonie

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