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Von Hamburg nach Berlin: Marina Galic ist seit dieser Saison am BE engagiert.

© Julian Baumann

Marina Galic spielt Saša Stanišić: „Herkunft“ als Theaterstück im Berliner Ensemble

In der Bühnenadaption von Saša Stanišić’ preisgekröntem Roman „Herkunft“ verkörpert das neue Ensemblemitglied Marina Galic die Hauptfigur.

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Marina Galic ist ein illustrer Neuzugang am Berliner Ensemble. Für viele Jahre galt sie gemeinsam mit ihrem Ehemann Jens Harzer als das Theatertraumpaar schlechthin am Hamburger Thalia Theater. Zu ihrem Berliner Neustart – sie war früher schon am Deutschen Theater, der Schaubühne und der Volksbühne – steht sie allerdings ohne Harzer auf der Bühne.

Galic verkörpert Saša, einen jungen Mann, der während des Jugoslawienkriegs mit seinen Eltern aus Bosnien flieht und am Rande Heidelbergs einen Neuanfang in einem fremden Land versucht.

Der deutsch-bosnische Schriftsteller Saša Stanišić hat seine eigene Geschichte in dem preisgekrönten Roman „Herkunft“ verarbeitet, das Buch bildet die Grundlage der Inszenierung des ukrainischen Regisseurs Stas Zhyrkov. Galic spielt in ihrer ersten großen Rolle am BE auch erstmals eine Figur, die sie in die Herkunftsregion ihrer Familie führt.

„Mit Bosnien verbinde ich sehr vieles, lauter Erinnerungen. Ich war als Kind sehr oft dort“, erzählt die in Frankfurt/Main geborene Schauspielerin, deren Eltern aus Kroatien und Bosnien stammen.

Vertraut aus der eigenen Familie ist ihr auch die Art, wie in „Herkunft“ die Großeltern das Leben der Kinder und Enkel durchdringen. Ebenso „die Frage von vielen Emigranten und Menschen, die als zweite Generation aufgewachsen sind: Wo gehöre ich eigentlich hin? Wenn man merkt, dass man weder in dieses eine Land richtig gehört noch in das andere“, so Galic.

Es gibt noch weitere Berührungspunkte. „In meiner Familie sind auch einige in der Kriegszeit aus Jugoslawien geflüchtet“, erzählt sie. Und schon sind wir mittendrin im Jugoslawienkrieg, der scheinbar so plötzlich ausbrach Anfang der 1990er Jahre, der auch deshalb so unbegreiflich erschien, weil dort frühere Nachbarn, Schulfreunde und Arbeitskollegen mit einem Mal aufeinander schossen.

Galic’ Familie erlebte dies unmittelbar. „In dem Dorf, aus dem die Familie meiner Mutter herkommt, haben die kroatischen Nachbarn auf das Haus meines orthodoxen Onkels mit Maschinengewehren geschossen. Er musste vor seinen Nachbarn fliehen, obwohl vorher alle zusammen waren, teilweise sogar untereinander verheiratet.“ Dieses Dorf sei heute, 30 Jahre später, verlassen, sagt Galic.

Der Autor Saša Stanišić allerdings deutet in „Herkunft“ den Krieg nur an. Vor allem geht es in dem Buch um die Verschiedenartigkeit der Erzählungen, mit denen die eigene Herkunft erklärt werden kann. Drachen tauchen auf, die die Migrationsgeschichte der Vorfahren noch im Osmanischen Reich auf eine mythische Weise erzählen.

Es zeigt sich auch, dass geografische Orte nur bedingt für Konstruktionen der Herkunft taugen. Oft genug stehen sie für Gesellschaften, die es nicht mehr gibt. Dieses Motiv der Staaten, die nicht mehr existieren, spiele auch in die Inszenierung hinein, berichtet Galic. „Mich interessiert sehr Stanišić’ Beschäftigung mit den Möglichkeiten von Erzählungen, dem Spiel mit unterschiedlichen Narrativen“, betont sie.

In Anlehnung an den Historiker Yuval Harari hält sie die Fähigkeit zum Erzählen von Geschichten auch für das wichtigste Merkmal, das die Menschen von den Tieren unterscheide. Allerdings hat gerade der Jugoslawienkrieg gezeigt, welch toxische Wirkungen Narrative haben können, wenn sie nationalistisch und revanchistisch gestrickt sind.

Die Inszenierung „Herkunft“ verspricht, eine wichtige Reflexion über die Konstruktion von Identitäten für einzelne Menschen wie auch ganze Gesellschaften zu werden.

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