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Einmal Wolf, immer Wolf. Ein stolzes Exemplar im Tier-Freigelände im Nationalpark Bayerischer Wald

© picture alliance/dpa/Patrick Pleul

Markus Söder und die Beutegreifer: Wahlkampf auf dem Rücken der Wölfe

Eine kurze Betrachtung über Mensch und Raubtier am Beispiel einer neuen Verordnung im Freistaat Bayern

Von Gregor Dotzauer

Der Beutegreifer, wie man neuerdings das Raubtier nennt, um es aus dem Zwielicht menschlicher Hinterlist und Tücke zu rücken, führt eine prekäre Existenz. Einerseits hat man ihn in Gestalt von Bären, Wölfen und Luchsen in die Mitte hochtechnisierter, dicht besiedelter Länder wie der Bundesrepublik zurückgeholt, um ihn vor Ausrottung zu schützen: Er ist eine wichtige Stütze des Ökö-Systems.

Andererseits geht es ihm schnell an den Kragen, sobald er den dunklen Tann verlässt und sich jenseits eingezäunter Reservate ins Licht menschlicher Kreise begibt. Insbesondere der Wolf, spätestens seit dem „Rotkäppchen“-Märchen der Brüder Grimm der mythische Inbegriff von tierischer Gefahr für Leib und Leben, hat es hierzulande schwer. Sein Wirken und Tun wird entweder glorifiziert oder dämonisiert, und es wird oft im selben Atemzug entmoralisiert und moralisiert.  

Seit Bayerns Oberförster Markus Söder am 1. Mai, rechtzeitig zu Beginn der Weideperiode, eine neue Verordnung erließ, die die Entnahme von Wölfen, wie der Abschuss beschönigend heißt, massiv erleichtert, wenn Gefangennahme oder Vergrämung nicht gelingen. „Ein Riss reicht!“, erklärte Söder. Die am 25. April im Ministerialblatt veröffentlichte „Bayerische Wolfsverordnung“ sieht vor, dass nach Verletzung oder Tod von Nutztieren „Maßnahmen gegen einen Wolf gerichtet werden (können), der in räumlichem oder zeitlichem Zusammenhang mit dem betreffenden Ereignis angetroffen wird“.

Stehen bleiben und ruhig verhalten. Läuft der Wolf nicht von selbst weg: Laut sprechen und kräftig in die Hände klatschen. Auf keinen Fall weglaufen, unter Blickkontakt langsam rückwärts weggehen.

Ratschlag von Naturschutzbünden für den unwahrscheinlichen Fall einer Begegnung mit dem Wolf

Im Klartext: Auch ein Wolf, der sich nichts zuschulden hat kommen lassen und nicht als Problemwolf gilt, eine Bezeichnung, die sich in Analogie zum Problembär herausgebildet hat, muss im Zweifel dran glauben. Unter Menschen nennt sich so etwas Sippenhaft. In Verbindung mit der Todesstrafe kann man es als doppelten Skandal betrachten. Oder fällt das unter genau jenen moralisierenden Blickwinkel, der dem Tun und Lassen höherer Säugetiere nicht gerecht wird?

In Abwandlung der von dem römischen Komödiendichter Plautus geprägten und durch Thomas Hobbes berühmt gewordenen Sentenz „homo homini lupus“ könnte man jedenfalls sagen: Der Mensch mag dem Menschen ein Wolf sein, aber dem Wolf ist er ein Wolf, wie er sich den Wolf vorstellt. Warum ausgerechnet in Bayern?

Nebentäter: Bären und Goldschakale

Der Naturschutzbund nennt für 2020/21 die Zahl von 161 Rudeln für ganz Deutschland. Allein 47 davon sind in Brandenburg angesiedelt. Bayern verfügt gerade einmal über drei. Auf 570.000 Einwohner kommt hier ein Wolf. Das ist wohl nicht die ganze Wahrheit, nachdem vor allem in Franken vermehrt Wölfe gesichtet werden, die nicht zu den eingetragenen Beständen gehören. Sie erklären aber auch nicht, warum zwischen 2021 und 2022 die Zahl der getöteten Tiere, ein paar Tiroler Bären und Goldschakale eingerechnet, von 65 sprunghaft auf 413 angestiegen sein soll.

Wenn in Bayern keine wundersame Vermehrung des Canis lupus stattgefunden hat, führt nichts an der Einsicht vorbei, dass Markus Söder, der im Freistaat mit seiner Partei, der CSU, nach Jahrzehnten der absoluten Mehrheit nur noch rund 40 Prozent holen wird, den bevorstehenden Landtagswahlkampf auch auf dem Rücken der Wölfe austrägt.  

Gibt es, von den räuberischen Fischottern abgesehen, die mit einer ähnlichen Verordnung bedacht wurden, etwas Symbolträchtigeres, um den Zuspruch der bayerischen Bauern zu erlangen? Lässt sich auf der gesamten Breite der Metaphernklaviatur unschuldiger ein Sicherheitsbedürfnis gegenüber illegalen Einwanderern bedienen, die über Polen und Tschechien in heimatliche Gefilde eindringen? Langsam, so insinuiert Markus Söder, sollte man mal über Obergrenzen und vermehrte Abschiebungen reden.

Der Wolf ernährt sich zu 90 Prozent von Reh-, Rot- und Schwarzwild. Darin ist er dem Jäger ein Partner, kein Konkurrent. Schafe, Ziegen und Kälber als Beute kommen für ihn vor allem da in Betracht, wo diese nicht ausreichend durch Zäune geschützt sind. Die Wolfsverordnung spricht gleich von „nicht schützbaren Weidegebieten“. Aber genau darum hat sich ein Streit entsponnen, in dem die einen dem Leichtsinn des Menschen die Schuld geben, der keine ausreichenden Vorkehrungen gegen den neuen alten Mitbewohner trifft, und die anderen dem bösen Willen des Wolfes.

Nur ist das Wort von der Schuld auf den Wolf schwer anwendbar. Selbst der sogenannte Problemwolf verfügt über keinerlei Unrechtsbewusstsein: Er kennt nur Gelegenheiten. Das Bürgerliche Gesetzbuch weiß schließlich auch, warum es in Paragraph 828 Kindern unter sieben Jahren keinerlei strafrechtliche Verantwortung zuschreibt.

Oder formiert sich im Blick auf die Wölfe eine späte Antwort auf die Neigung, sogar den Menschen aus einer eingebildeten Willensfreiheit zu entlassen, die den Frankfurter Hirnforscher - nomen est omen - Wolf Singer dazu brachte, eine grundsätzliche Revision des Strafrechts zu fordern, indem er behauptete: „Keiner kann anders, als er ist.“ Darauf ein Bier, eine Leberkässemmel - oder am besten gleich ein Wiener Schnitzel von einem zarten jungen Kalb.

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