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Kultur: Mattis-Teutsch-Retrospektive: Sprengung in Blau

In Deutschland ist Hans Mattis-Teutsch nach kurzen Auftritten in München und Berlin eher ein Unbekannter geblieben. Denn den größten Teil seines Lebens verbrachte der deutsch-ungarische Maler, Grafiker und Bildhauer in seiner siebenbürgischen Heimat, in Kronstadt.

In Deutschland ist Hans Mattis-Teutsch nach kurzen Auftritten in München und Berlin eher ein Unbekannter geblieben. Denn den größten Teil seines Lebens verbrachte der deutsch-ungarische Maler, Grafiker und Bildhauer in seiner siebenbürgischen Heimat, in Kronstadt. Dort ist er 1960 verstorben.

Nun präsentiert das Münchener Haus der Kunst in Zusammenarbeit mit der Ungarischen Nationalgalerie und der Mission Art Galerie Budapest nicht nur die erste große Mattis-Teutsch-Retrospektive, sondern unternimmt zudem den Versuch, im Vergleich mit Werken von Kandinsky, Gabriele Münter, Marc und Jawlensky zu zeigen, wie der Künstler die Prinzipien des "Blauen Reiters" fortgesetzt hat. In seiner Suche nach einer abstrahierenden Bildsprache, die Natureindrücke und Gemütszustände mit leuchtenden Farbtönen in rhythmische Verläufe übersetzt, steht Mattis-Teutsch den spirituellen Bestrebungen der Münchener Künstlergruppe näher als dem nervösen Figurenstil der "Brücke".

Nach seiner Ausbildung in Budapest hatte Mattis-Teutsch in München und Paris wesentliche Impulse erfahren, die er als Kunstlehrer in Rumänien vertiefen konnte. 1917 schloss er sich der von Lajos Kassák begründeten Künstlergruppe "MA" ("Heute") in Budapest an, nahm 1918 Kontakt zum Berliner "Sturm"-Kreis um Herwarth Walden auf und nach 1919 zur Kölner Gruppe "a-z" sowie zum Bauhaus. 1921 stellte er gemeinsam mit Paul Klee in Berlin aus. Zwar zeigte Mattis-Teutsch in den nächsten Jahren in Rumänien, Rom, Berlin, Chicago, Paris und Budapest seine Arbeiten, aber Ende der 20er Jahre verlor er zusehends den Anschluss an die europäische Avantgarde. Sein Übergang vom Expressionismus zum "konstruktiven Realismus" vollzog sich fast unbemerkt.

In München kann man die synästhetisch geprägte Musikalität im Expressionismus Kandinskys direkt mit der von Mattis-Teutsch vergleichen. Die Landschaftsbilder des Deutsch-Ungarn von 1916 bis 1919 nehmen als Realitätsrelikte eine ähnliche Rolle ein wie die Pferde bei Marc. Während aber Kandinsky zu immer größerer Abstraktion und Dynamik fortschritt, verwendete Mattis-Teutsch breitere Farbformen und einfachere, monumentalere Kompositionen, die denen von Jawlensky näher stehen. Seine beiden Gemälde mit dem Titel "Blauer Reiter" (1923) stellen eine Hommage, aber zugleich eine Verabschiedung dar. Mattis-Teutsch bewegt sich bereits in Richtung eines synthetischen Konstruktivismus.

Bedarf aber das Werk des Malers überhaupt des Stützpfeilers "Blauer Reiter"? Hätten nicht in gleicher Weise die Beziehungen zur Avantgarde in Frankreich und Ungarn - zu Gauguin, den Nabis, zu Matisse, József Rippl- Rónai, Archipenko, Kassák und Béla Uitz - und ab 1926 auch zu der in Rumänien herausgestellt werden müssen? Auf diese Zusammenhänge geht der Katalog ein; anders als in der Ausstellung bricht die Werkgeschichte hier nicht Anfang der 30er Jahre ab. Man mag die Spätphase - 1947 ist der Maler wieder an die Öffentlichkeit getreten - als peinlich empfinden, dennoch hätte sie wenigstens in Ausschnitten dokumentiert werden müssen.

Faszinierend ist es dennoch zu erleben, wie sich die Landschaftsmalerei des Deutsch-Ungarn Mitte der 10er Jahre immer mehr von der Wirklichkeit entfernt, wie sie zunehmend Ausdruck von Empfindungen, Stimmungen und Harmonien wird. Was holt der Künstler an Psychologischem alles aus der Welt der Linien und Formen! In rhythmisch bewegten Linolschnitten, Aquarellen und Gemälden reißen die Linien und Kreise die Komposition wie eine Sprengladung auseinander und fügen sie wieder zusammen, als wären es die Zurufe von Menschen, sturmgepeitschte Bäume oder Akte von höchster Sensibilität. Klagende Frauen, an Baumstämme geschmiegt - Reflex des 1. Weltkrieges, aber auch Ausdruck der Trauer über den frühen Tod von Mattis-Teutschs Frau. Kunst wird bei ihm zu einer prophetischen Dichtung; die Farben und Formen entmaterialisieren sich zu Farbklängen und rufen Assoziationen zur Musik hervor.

Nach 1920 entsteht die Serie seiner abstrakten Gemälde und Zeichnungen mit dem erst später verwandten Titel "Seelenblumen", schwebende, kreisende Farbformen, bildgewordene Seelenstimmungen. 1922/23 widmet er sich den "Kompositionen in Blau", der Symbolfarbe des Expressionismus, aber auch ebensolchen in Grün oder Rot. Diese "Kompositionen" sind absolute, zeitlose Bilder, reine Manifestationen der Bildhaftigkeit. Im darauffolgenen Jahr wendet er sich zunehmend geometrischen Formen zu: Linien, die sich einander annähern oder voneinander entfernen und eine höchst dekorative Wirkung besitzen. Bald kehren auch die Figuren auf seine Bilder zurück. Er betreibt philosophische Gedankenspiele vor dem Hintergrund seiner 1931 erschienenen Programmschrift "Kunstideologie": Mattis-Teutsch will das Ideal des neuen, dynamischen Menschen schaffen.

Klaus Hammer

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