
Sliman Mansour: "Mein Leben ist zersplittert"
Der Maler Sliman Mansour, einer der bekanntesten palästinensischen Künstler, spricht über über demütigende Grenzkontrollen, verbotene Farben und seine Wut.
Herr Mansour, wie ist die Lage der Künstler in den palästinensischen Gebieten?
Seit der Zweiten Intifada ist der Kunstmarkt in Palästina total zusammengebrochen. Es gibt keine Galerien mehr, keine Museen, keine Käufer, keine Kunstkritiker und keine Institutionen, die junge Künstler ausbilden. Einzig in den ersten Jahren nach den Oslo-Verträgen Mitte der neunziger Jahre hatten wir eine kurze Blüte der palästinensischen Kunstszene, wir konnten malen, was wir wollten. In den 70er Jahren dagegen hatte man uns sogar verboten, mit den Farben rot, grün, schwarz und weiß zu malen – den Farben der palästinensischen Nationalflagge. Das allerdings gibt es heute nicht mehr.
Was bedeutet dies alles für Sie persönlich?
Jeden Tag bin ich gezwungen, einen halben Tag meines Lebens zu vergeuden. An den Checkpoints des Militärs müssen wir warten, werden beleidigt und gedemütigt. Wir leben unter so entwürdigenden und schlechten Bedingungen, dass wir immer Gefahr laufen, einen Teil unserer eigenen Humanität zu verlieren. Die Demütigungen machen uns wütend, und wenn man wütend wird, reagiert man nicht mehr wie ein normaler Mensch. Ich will das nicht entschuldigen, aber auch die Gewalttaten der Palästinenser kommen nicht aus dem Nichts.
Wie arbeiten Sie unter diesen Umständen?
Ich lebe in Ostjerusalem, mein Studio habe ich seit 25 Jahren in Alram, einem Dorf – eigentlich vier Minuten mit dem Auto von meiner Wohnung entfernt. Heute steht dort die Mauer – und ich brauche für einen Weg mindestens eine Stunde, oft auch anderthalb oder mehr. Und zwar jeden Tag. Die Besatzer nehmen mir einen Teil meines Lebens weg. Man kann keine Termine machen und Verabredungen treffen. Meine Zeit ist einfach nicht in meiner Hand. Wenn das mal eine Woche so geht, kann ich damit zurechtkommen. Aber das geht jetzt schon seit Jahren so und das hat mich zermürbt. Ich kann mich oft nicht auf meine Kunst konzentrieren, nur weil ich an den bevorstehenden Rückweg denke durch die israelischen Checkpoints.
Wie beeinflusst das Ihre Kunst?
Meine Werke jetzt beschäftigen sich mit dem Thema Zersplitterung und Fragmentierung: Mein Leben ist total zersplittert – meine Zeit, mein Alltag, meine Arbeit. Meine Tochter wird einen Mann aus der Westbank heiraten. Das bedeutet für uns als Eltern, dass wir sie künftig nur noch selten und unter schwierigen Umständen sehen können. Selbst in solchen intimen Familienangelegenheiten ist unser Leben zersplittert.
Sie sind Mitglied der Organisation „Künstler ohne Mauern“. Wie sind Ihre Kontakte zu israelischen Künstlern?
Nicht alle Israelis sind mit der gegenwärtigen Politik ihrer Regierung und dem Bau der Mauer einverstanden. Mit denen haben wir uns vor drei Jahren zusammengeschlossen. Wir organisieren gemeinsame Ausstellungen israelischer und palästinensischer Künstler im Internet – im Augenblick zum 40. Jahrestag der Besatzung. Das Internet ist eine wichtige Plattform für uns geworden. Denn wenn wir unsere Kunstwerke in andere Länder verschicken, werden sie bisweilen gestohlen. Es wird immer schwieriger, die Werke zu verschicken und vor allem, sie anschließend zurückzubekommen. Mir haben israelische Soldaten vier Gemälde gestohlen. An einem Checkpoint nahe der Bir-Zeit-Universität haben mir Soldaten einmal sogar meine Wasserfarben weggenommen.
Haben Sie den Eindruck, dass die israelische Bevölkerung Ihre Situation versteht?
Die meisten Menschen dort kümmert unsere Lage nicht. Sie schauen weg, haben ihre Arbeit, sie leben frei.
Sie sind beteiligt an der Planung eines Museums für palästinensische Kunst. Wie ist der Stand der Dinge?
Das Ganze begann mit der Stiftung eines palästinensischen Sammlers. Seine Sammlung soll der Ausgangspunkt werden für ein neues Museum in Jerusalem. Vor der Intifada hatten wird bereits eine umfangreiche biographische und künstlerische Dokumentation von mehr als 300 palästinensischen Künstlern angelegt, die ebenfalls zu dem Gründungsbestand des neuen Museums gehört. Aber wir haben das Geld für den Bau nicht zusammen und bisher auch kein Grundstück gefunden, weder in Jerusalem noch in Ramallah.
Das Gespräch führte Martin Gehlen.