Kultur: Mein liebster Albtraum
Exklusiv in Berlin: Die Arctic Monkeys probieren ihre neuen Songs aus
Vor einem Jahr haben sie ihre Gitarren noch selbst gestimmt. Nun stehen finster blickende Helfer mit – vermutlich – gescheiterten Musikerkarrieren an den Instrumenten der Arctic Monkeys und bereiten sie auf ihren Einsatz im Berliner Postbahnhof vor. Es wird ein kurzer Einsatz, aber der hat es in sich. Laut, schweißtreibend, beglückend und wegweisend.
Dabei ist man derzeit nicht gerade entwöhnt von jungen britischen Rockbands mit Wumms. Doch das Quartett aus Sheffield überflügelt sie alle, als es auf die Bühne kommt, die Gitarren überwirft und aus einer brodelnden Beat-Wolke gleißende Akkordblitze schießen lässt. Es ist ein neues Stück, der Text wird von Sänger Alex Turner im harten Idiom seiner heimatlichen Arbeiterstadt herausgebellt. Es geht zackig zur Sache. Denn dafür sind Turner, sein Gitarrenkumpel Jamie Cook, Matt Helders am Schlagzeuger und Bassist Nick O’Malley eigens aus dem englischen Norden angereist: Sie wollen fern der überkritischen Heimat das neue Material der im April erscheinenden zweiten Platte „Favourite Worst Nightmare“ testen, mit der ihre beispiellose Erfolgsgeschichte fortgeschrieben werden soll.
„Who the fuck are the Arctic Monkeys?“ hatte die Band auf der zuletzt veröffentlichten EP gefragt, als die Wogen der Begeisterung über ihnen zusammenschlugen. Sie selbst schienen es auch nicht mehr genau zu wissen, nach all den Preisen, mit denen man sie überhäufte. Immerhin hatten sie 2006 mit „Whatever People say I am, that’s what I’m not“ das am schnellsten verkaufte Debütalbum seit Oasis‘ „Definitely Maybe“ veröffentlicht. Dem Durchbruch war ein monatelanges mp3-Gesumm im Internet vorausgegangen, das die Band zur Speerspitze der Blog Culture werden ließ.
Heute ist beinahe vergessen, dass das nur gelang, weil die Arctic Monkeys sich als exzessive Live-Band durch englische Clubs spielten. Mit dem Nimbus ehrlicher Arbeiterzöglinge scheinen sie die Popmusik nicht benutzen zu wollen, um sich von ihrer Umwelt abzusetzen. Exzentrische Gesten liegen ihnen fern. Ihre Garderobe: Polo-Shirts, Jeans und Turnschuhe. Nicht mal breite Gürtel. Das Äußerste an stilistischem Wagemut ist Turners hochgestellter Kragen. Mit Anfang zwanzig und dem kühlen Habitus einer Beatgruppe entfesseln sie die Gefühle jener, die sie groß gemacht haben. Und ihr verwinkeltes Songwriting zerfällt nur deshalb nicht in Einzelteile, weil es sich immer wieder in rasenden Stakkato-Figuren bündelt.
Doch schon die ersten beiden Songs des Abends signalisieren, dass die Band das hohe Tempo, das jede ihrer Kompositionen zum beinharten Riff-Orkan macht, nicht halten kann. Für die Akteure, allen voran Drummer O’Malley, der verbissen auf seine Becken eindrischt, sind Songs wie „I Bet You Look Good On The Dance Floor“ oder „Still Take You Home“ eine Tortur. Auch das wunderbar zarte „Riot Van“ schenkt kaum Erholung. So geht der Trend nach allem, was die locker zwischen die Hits ihres Debüts gestreuten neuen Songs erkennen lassen, zur Mid- Tempo-Nummer. Schleifende Akkord- Kaskaden kündigen einen Zug ins Lyrische an, die erste Single zeigt die Hochenergetiker als Meister des Einfachen.
Mag sein, dass die neuen Stücke weniger mitreißend sind. Trotzdem: So direkt und messerscharf ist der Arctic-Monkeys-Sound, dass die Band sogar auf Melodien verzichten kann, ohne in öde Kraftmeierei zu verfallen. Sie beschließt den knapp 45-minütigen Abend, wie er begonnen hat. Mit einem Trommelgewitter – und dem vor Ungewissheit zitternden Gitarrengeplänkel, das „A Certain Romance“ ankündigt.