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Die Piraterie verschafft Somalia internationale Aufmerksamkeit. Patrouillenboot an der Küste von Puntland.

© dpa/pa

Bürgerkrieg in Somalia: Mein todkrankes Land

Nuruddin Farah beschließt mit „Gekapert“ seine Roman-Trilogie über den somalischen Bürgerkrieg.

Somalia, hat Nuruddin Farah vor kurzem in einem Interview mit dem britischen „Guardian“ gesagt, stecke voller Geschichten. „Bei uns heißt es: ,ein Kranker, hundert Ärzte.’ Somalia ist ein krankes Land und jeder hat eine Meinung dazu. Von mir gibt es eine Version, in einem Bürgerkrieg sind es Millionen.“ Trotzdem versucht Farah, in seinen durchweg in Somalia angesiedelten Romanen die politische und gesellschaftliche Komplexität des durch einen über zwei Jahrzehnte währenden Bürgerkrieg völlig aufgeriebenen und zerrütteten Landes am Horn von Afrika abzubilden.

Der 1945 im südwestsomalischen Baidoa geborene Farah macht das vor allem in groß angelegten Romantrilogien, auch schon zu der Zeit, in der ihm der Besuch Somalias verwehrt war: 1974 hatte Farah ein Stipendium einer englischen Universität bekommen und war kurz darauf in Abwesenheit von dem bis 1991 herrschenden Diktator Siyad Barre zum Tode verurteilt worden. Erst 1996 konnte der inzwischen in Kapstadt lebende Farah Somalia erstmals wieder besuchen und wurde prompt von einem Warlord festgenommen, damit er über diesen einen lobenden Artikel schreibe. „Past Imperfect“ heißt Farahs inzwischen dritte und jüngste Trilogie, die er vor über einem Jahrzehnt mit dem Mitte der neunziger Jahre angesiedelten Roman „Links“ begonnen hat, mit „Netze“ 2007 fortsetzte und deren letzter Teil nun unter Titel „Gekapert“ auf Deutsch vorliegt.

Ähnlich wie in „Links“ kehrt in „Gekapert“ Farahs Alter ego, der in New York lebende Literaturprofessor Jebleeh, nach langer Abwesenheit in seine Heimatstadt Mogadischu zurück, um seinen Freund Bile und dessen Freundin Cambara zu besuchen, beide ebenfalls Figuren aus „Links“ und „Netze“. Jebleeh wird begleitet von seinem Schwiegersohn Malik, der im Jemen geboren wurde, aus einer somalisch-chinesischen Beziehung stammt, in Malaysia aufwuchs, von Beruf Journalist ist und über das ihm unbekannte Land seiner Vorfahren schreiben will.

Nuruddin Farah wurde 1945 im südwestsomalischen Baidoa geboren.
Nuruddin Farah wurde 1945 im südwestsomalischen Baidoa geboren.

© AFP

Es ist das Jahr 2006. In Mogadischu herrscht die islamistische Union, die Miliz der Al-Shabaab mit ihren Scharia-Gerichtshöfen. Der Einmarsch äthiopischer Truppen steht kurz bevor, sie wollen die Islamisten wieder vertreiben, mit Hilfe der Amerikaner, wie es heißt. Schon bei der ersten Straßensperre wird Maliks Laptop von einem Anführer der Union konfisziert; und Jebleeh fällt auf, wie sich in den zerstörten Vierteln Mogadischus die Mode verändert hat: „Mitte der 90er trugen drei Viertel der Männer Sarongs, weil es kaum Schneider gab. Jetzt scheint Mogadischu modische Inspiration von weiterher zu beziehen, aus Saudi-Arabien, Afghanistan und Pakistan. Die Vielfalt der Gewänder, die er in der kurzen Zeit seiner Ankunft an beiden Geschlechtern gesehen hat, ist eindrucksvoll.“

"Gekapert" ist in Mogadischu und Puntland angesiedelt

Den zweiten Strang seines Romans hat Farah in Puntland angesiedelt, der Piratenhochburg im Norden Somalias am Golf von Aden. Hier macht sich Maliks in Minnesota lebender Bruder Ahl auf die Suche nach seinem seit einem halben Jahr verschwundenen Stiefsohn Taxliil. Dieser will sich zusammen mit „ein paar von der Al-Schabaab ausgebildeten Starrköpfen“ zum Selbstmordattentäter ausbilden lassen, und Ahl geht dem Gerücht nach, „dass Taxliil nach Puntland geschickt worden ist, mit dem Auftrag, den Kontakt mit den Piraten herzustellen, um eine Brücke zwischen ihnen und der Al Schabaab zu schlagen“.

Der zweite Strang erlaubt es Farah, seinen Roman, der auf zahlreichen von ihm in Mogadischu und Puntland geführten Interviews basiert, ganz nah an die Gegenwart heranzuführen – zumal Somalia zuletzt insbesondere dann internationale Aufmerksamkeit zuteil wurde, wenn wieder einmal ein Schiff entführt wurde (doch seit dem Überfall-Rekordjahr 2011 gibt es im Moment kaum noch Schiffskaperungen vor der Küste Somalias und im Golf von Aden).

Nuruddin Farah zeichnet ein differenzierteres Bild der somalischen Piraterie als so mancher Zeitungsartikel und Fernsehbericht: von den illegal von ausländischen Flotten leergefischten somalischen Gewässern über die Zusammenarbeit der Piraten mit den Islamisten bis hin zu Hintermännern überall auf der Welt, die die Überfälle organisieren und finanzieren. Auch, dass es an den Küsten Puntlands wegen der Piraterie blühende Städte geben würde oder die Piraten sich die Taschen mit Geld voll stecken, entlarvt Farah als Mär. „Der größte Anteil, den ich je gesehen habe, sind siebentausend Dollar gewesen“, erzählt ein Pirat Malik. Und ein anderer Mittelsmann erklärt ihm: „Will man gerecht sein, kann man die Somalier also nicht als Piraten bezeichnen, da sie weder die Besatzer grausam behandeln noch extrem gewalttätig sind oder ihre Opfer foltern.“

Ein lebendiger Roman liest sich anders

Viele dieser Gespräche sind aufschlussreich; doch sind sie auch symptomatisch für ein großes Problem dieses Romans: Als Literatur, gar „Weltliteratur“ kann man „Gekapert“ nicht bezeichnen. Vieles wirkt gestelzt, wie schnell aus den Interviews von Farah oder anderen Quellen exzerpiert, dient der puren Informationsübermittlung: „Eritrea, Äthiopiens Erzfeind, ist der Hauptverbündete der Union und ihr Waffenlieferant“. Oder: „In den Medien herrscht allgemeine Übereinstimmung, dass die hohen Tiere der Union aus Mogadischu geflohen sind.“ Vielseitiger als die Hauptfiguren Jebleeh, Ahl, Malik und die beiden, wie bei Farah üblich, enorm starken Frauenfiguren Cambara und Xalan, sind immerhin einige der Nebenfiguren. Ihnen mangelt es zwar auch an psychologischer Tiefe; trotzdem weiß man nie, und das macht sie interessant, woran man bei ihnen ist: Auf welcher Seite sie stehen, wie sehr sie mit den Islamisten oder irgendwelchen Warlords sympathisieren, wie vertrauenswürdig sie überhaupt sind.

Nuruddin Farah gelingt es überzeugend, die Kaputtheit Somalias darzustellen: ein kaum noch als einheitlich zu bezeichnender, gescheiterter Staat ohne Struktur und Ordnung. Hier regiert willkürliche Gewalt, hier surren die Drohnen der Amerikaner, hier kann sich niemand seines Lebens sicher sein. Morde an Journalisten sind an der Tagesordnung.

Der Form nach erinnert „Gekapert“ an einen langen, nicht besonders gut geschriebenen, dafür enorm informativen Zeitungstext, in den ein Haufen fiktiver Figuren und eine nicht besonders schlüssige Handlung eingefügt wurden. Ein lebendiger Roman liest sich anders. Aber womöglich ist das der Preis, den Nurrudin Farah zu zahlen bereit ist, um sein Heimatland „am Leben zu erhalten“, wie er es einmal als Hauptanliegen seiner Bücher bezeichnet hat.

Farahs Roman "Gekapert" ist bei Suhrkamp erschienen.
Farahs Roman "Gekapert" ist bei Suhrkamp erschienen.

© Suhrkamp

Nurrudin Farah: Gekapert. Roman.Aus dem Englischen von Susann Urban. Suhrkamp Verlag, Berlin 2013. 460 Seiten, 22, 99 €.

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