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Kultur: „Meine Passion, meine Profession“

Feuilletons und Reden des Autors Berggruen

Die neue Stadt

Wer seine Seele retten will – der fliehe in die Stadt. Ein großartiger Mechanismus ist da aufgezogen, um sie zu konservieren. Auf Eis gestellt zwar, aber in Sicherheit. Das Aufzucken der Lichter an den Dächern, das Vorbeizischen der Züge über den Stadtbahnbögen, das sinfonische Heulen der Autohupen und das Metallblinken der Brötchenautomaten: alles ist Mahnung und Forderung zur Intensivierung der Gefühle. Bürger, schont eure Anlagen! 28. Oktober 1935

Der Tiergarten

Die Jungen, die die Schule schwänzen, laufen oft in den Tiergarten. Mit Büchern in der Mappe und Diskussionsstoffen im Kopf. Nie aber mit dem Wunsch nach dem Tiergarten. Und nie haben sie an dem Tiergarten gehangen, so wie sie am Grunewald hängen. Es ist Undankbarkeit, sie sollten sich schämen. Es ist, als ob sie noch an den Tag denken müssten, da sie bitter enttäuscht nach dem ersten Besuch fragten, warum denn dieser Ort Tier-Garten heiße. 6. Januar 1936

Berliner Humor

Der Berliner in seiner Eigenschaft als Berliner lacht nicht. Er mag zu Hause lachen, im Freundeskreis, im Büro, im Theater, aber nicht dort, wo er das steinerne Parkett der Straße betritt. Wenn wir uns noch einmal in die Atmosphäre während einer U-Bahnfahrt hineinversetzen: wer wollte nicht zugeben, dass nichts für die Haltung der Menschen in der Untergrundbahn so bezeichnend ist wie die Tatsache, dass niemand während der Fahrt eine Miene verzieht, Empfindung, Temperament verrät, dass jeder in sachlich knappem Gespräch begriffen ist oder aber mit einem unzweifehalt steifen Passbildgesicht vor sich hinstarrt? Und was ist dies anderes als der Ausdruck dafür, dass bewusst oder unbewusst ein Zwang zur Einordnung in das aller privaten Äußerung abholde Getriebe der großen Stadt empfunden wird. 7. September 1936

Auszüge aus Beiträgen für die „Frankfurter Zeitung“. In: HB: Kleine Abschiede. 1935 – 1937: Berlin, Kopenhagen, Kalifornien. Transit-Verlag, Berlin 2004.

Professor der Sensibilität

Die Kunst, mit der ich mich seit einem halben Jahrhundert erst als Händler und nun als Sammler intensiv befasse, die Klassische Moderne, ist ein Teil von mir selbst geworden. Erst war sie meine Profession und jetzt ist sie meine Passion. Und so glaube ich, dass der Titel, den man mir so großzügig verleiht, sinnvoll wird, weil er direkt und unmittelbar zu dem hinführt, was mich seit eh und je am tiefsten beschäftigt, nämlich das Rigorose, das Kompetente, das im besten Sinne Professionelle meiner Sammeltätigkeit. (...) „Heute ist man Professor von allem, außer der Sensibilität.“ Ist es anmaßend, wenn ich dieses Wort von Henri Cartier-Bresson auch auf mich anwende?

Aus der Dankesrede zur Verleihung der Berliner Ehrenprofessur am 23. April 1997. In: HB: Ein Berliner kehrt heim, Rowohlt Berlin, 2000.

Paris Bar

Nicht alle Berlin-Besucher landen in Tegel oder in Tempelhof. Aber alle landen auf der Kantstraße in der Paris Bar. Für eine Reihe prominenter Berliner ist die P.B. ein zweites Zuhause. Zum Beispiel für einen, der stets beharrlich am Tresen lehnt und wie der Schauspieler Otto Sander aussieht. Es ist Otto Sander.

Aus: H.B: Spielverderber, nicht alle. Betrachtungen. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2003

Bekenntnis zu Deutschland

Ich verleugne in keiner Weise meine jüdische Herkunft, aber ich bekenne mich zu Deutschland. Ich bekenne mich nicht zu dem Deutschland, in dem die Hauptwerte und Hauptworte Volksgemeinschaft, Volkszugehörigkeit und Volkstum heißen (...) Ich bekenne mich zum Deutschland der Aufklärung und des Liberalismus, zu einem Deutschland, das in einer europäischen, von Toleranz getragenen Gemeinschaft verankert ist.

– Aus der Dankesrede zur Verleihung des Nationalpreises der Deutschen Nationalstiftung am 17. Juni 1999

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