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Kultur: Meine Sprache: Über das "Du" und die Demokratie

Es gibt, außer dem auf den Sprecher selber bezogenen, kein Personalpronomen, das in Deutschland nicht schon zur Anrede gebraucht worden wäre. 2.

Es gibt, außer dem auf den Sprecher selber bezogenen, kein Personalpronomen, das in Deutschland nicht schon zur Anrede gebraucht worden wäre. 2. Person Singular: Du sollst kommen. 3. Person Singular: Komme er her! Komme sie her! 2. Person Plural: Vater, Ihr sollt kommen (Mutter auch)! 3. Person Plural: Herr (Frau) Müller, Sie sollen kommen. Den Rekord halten wir dennoch nicht. Die neuen Anreden verdrängten die alten. Aus dem "Ihr" zum Beispiel wurde am Ende des 17. Jahrhunderts das "Sie". Und heute haben wir nun mit "Du" und "Sie" nur noch zwei Möglichkeiten.

Unter den Sprachen, die ich kenne (also vor allem Asien und Afrika ausgenommen), liegt Italien an der Spitze, mit noch immer drei Anreden: "Tu", "Lei" und "Voi". Wobei das "Voi", einst von Mussolini forciert, allmählich zu verschwinden scheint.

Das alles fiel mir ein, als ich jetzt Burkhart Kroebers Neu-Übersetzung des klassischen italienischen Romans "I Promessi Sposi" von Alessandro Manzoni las. In früheren Übersetzungen hieß er "Die Verlobten" (was auf italienisch "I Fidanzati" geheißen hätte). Aber warum klang es auch im Text ganz anders als gewohnt? Kroeber verrät es selber in einer Anmerkung. Er hat (fast) immer an Stelle des "voi", das in dem Mailänder Roman aus dem 17. Jahrhundert stand, nicht "Sie" (wie die früheren Übersetzer), sondern dem Sprachgebrauch der damaligen Zeit entsprechend "Ihr" geschrieben. Wie stark ein Personalpronomen den Ton eines ganzen Romans zu ändern vermag, lehrt die Lektüre dieses Buches.

Wer nun voreilig glaubt, die Zahl der möglichen Anreden lasse Schlüsse zu auf den Stand der Demokratie, der wundert sich vielleicht ein bisschen über das superdemokratische Italien. Vielleicht war es das. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass der Superlativ von "demokratisch" Unsinn ist.

Wer die "Volkssprache" aus ideologischen Gründen auf eine einzige Anredeform reduzieren will, reitet auf dem falschen Pferd. Das Genossen-Du in der DDR war völlig undemokratisch. Auch die westdeutschen 68er hatten sich ungern nachsagen lassen, sie erstrebten mit dem "Du" Demokratie und Liberalität. Liberale würden sagen: Lass doch jede jeden anreden, wie sie will.

Sind denn die Menschen in Großbritannien und in den USA alle Proletarier? Es sind die einzigen Sprachgemeinschaften, die mit der einen Anrede "you" auskommen. Gibt es Tricks, mit denen die Sprache beim Herstellen einer sozialen Ordnung überlistet wird? Geld? Titel? Visitenkarten? Autos? Es ist alles schon versucht worden und wird noch heute versucht. Nicht sehr erfolgreich. Wetten? Ich setze auf die Sprache.

Rudolf Walter Leonhardt

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