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Metallica, hier bei ihrem letzten Berlin-Auftritt in "Circus Halligalli" im November 2016, verleugnen ihre Herkunft nicht.

© Jörg Carstensen/dpa

Metallica im Olympiastadion: Kinder, kommt in den Moshpit

Die Thrashmetal-Veteranen Metallica spielen im Olympiastadion ihre Klassiker - und ein Cover von Rammstein.

Von Andreas Busche

Metallica sind höfliche Gäste. Auf ihrer aktuellen Tour unter dem Motto “WorldWired” haben sie kleine Gastgeschenke für das heimische Publikum mitgebracht. Beinah wäre man am Samstag im Olympiastadion noch in den Genuss von Frank Zanders Hertha-Hymne “Nur Nach Hause” gekommen, die einige Metallica-Fans vermutlich vom Bundesliga-Samstag kennen. Oder vielleicht doch eher “Kreuzberger Nächte”? Vergangene Woche haben James Hetfield & Co die Kölschen Fans mit ihrem Wissen um lokale Bräuche verzückt: Sie coverten den Höhner-Hit “Viva Colonia”, was noch ein wenig bizarrer anmutet als die leider in Vergessenheit geratene Stromgitarren-Version des Volksmusik-Evergreeens “Herzilein” der Spaßrocker Rudolf Rock und die Schocker.

Die notorisch humorlosen Thrashmetal-Veteranen zeigen sich mit diesem kurzen Intermezzo von ihrer selbstironischen Seite, aber natürlich gibt es in Berlin nur eine Band, die es an Größe mit Metallica aufnehmen kann – auch hinsichtlich ihres stimmungsvollen Einsatzes von Pyrotechnik. Und also ergibt sich nach etwa einer Stunde im Olympiastadion ein geradezu seliger Moment, als Gitarrist Kirk Hammett, der äußerlich zunehmend der Reptilisierung Keith Richards' nachzueifern scheint, und Donnerbassist Robert Trujillo an den Rand der Bühne treten, um in einem etwas holprigen, aber rührigen Vortrag “Engel” anzustimmen. Trujillo hat mit dem rollenden “R” leichte Probleme, aber die Rammstein-Fans im Publikum sehen es beiden nach. Vielleicht werden Rammstein ja doch noch als Ehrengäste in den Olymp der “Big Four” des Thrashmetal aufgenommen. Ihr Name würde sich neben Metallica, Megadeth, Slayer und Anthrax gut machen.

Bassist Trujillo ist der größte Metallica-Fan

Im Anschluss folgt eine weitere Hommage, die vielen “Enter Sandman”-Fans im Publikum gar nicht aufgefallen sein dürfte. Trujillo, inzwischen auch schon seit 16 Jahren in der Band, spielt ein kurzes Requiem für den 1986 bei einem Autounfall verstorbenen Urbassisten Cliff Burton, der noch immer einen Platz im Herzen von Metallica-Fans der ersten Stunde hat, weil der Jazz- und Klassik-Fan maßgeblichen Anteil daran hatte, dass aus Metallica später einmal dieses musikalische Flagschiff werden würde. Ex-Skatepunk Trujillo, der sich schon optisch vom Lederwesten- und Jeanskutten-Look seiner Bandkollegen unterscheidet, ist, so erzählte er in der als Dokumentarfilm getarnten Gruppentherapie “Some Kind of Monster” von 2004, gleichzeitig auch ein früher Metallica-Fan.

Frontmann James Hetfield, der zeitweise eine vermutlich sündhaft teure Etsy-Gitarre aus handverarbeitetem Treibholz traktiert, und Drummer Lars Ulrich hingegen haben viele Metalfans mit ihrem Imagewandel in den Neunzigern verprellt: Erst schnitten sie sich die Haare ab und spielten auf dem 96er-Album “Load” plötzlich eine Art metallischen Grunge, dann verklagten die Platinmillionäre die Tauschbörse Napster.

Von der Metalband zum Stadionrock-Act

Aber das muss man ihnen lassen: Metallica zeigen auch im 38. Jahr ihres Bestehens, trotz 1A-Wacken-Wetter (ein stetiger Nieselregen geht auf die Band nieder), keine Ermüdungserscheinungen. Es gibt keine Abkehr vom Frühwerk, live sind Klassiker wie “Master of Puppets” und “Ride the Lightning” immer noch eine Demonstration musikalischer Virtuosität: halsbrecherische Rhythmuswechsel plus Tempohärte. Der Chor aus 50000 bierbefeuchteten Kehlen tut sein übriges. Im sogenannten Snakepit vor der Bühne, wo ein U-förmiger Laufsteg ins Publikum ragt, sitzen sogar Kleinkinder mit Ohrenschützern auf den Schultern ihrer Väter. Metallica haben den Sprung vom Metal- zum Stadionact kompromissloser als jede andere Band aus der Goldenen Ära des Heavy Metal vollzogen. Die wenigen Kuttenträger verlieren sich am Samstag im Publikum. Dennoch: Wer Metallica wegen ihrer beiden MTV-Hits “Enter Sandman” und “Nothing Else Matters” kennt, wird erst mit der Zugabe bedient.

Hits gibt es natürlich dennoch en masse. Ihr Antikriegs-Epos “One” zum Beispiel, sinfonischer Rock plus Double-Bass-Crescendo im Hochgeschwindigkeits-Gitarrenschredder. Zugeständnisse an den Massengeschmack dagegen keine. Stücke vom Album “Load”, mit dem es sich Metallica 1996 bei ihren Fans endgültig verscherzt hatten, sind inzwischen von der Setlist gestrichen, ihr letztes Album “Hardwired…to Self-Destruct” vor drei Jahren, mit dem Hetfield & Co ihr Klassiker-Repertoire im Olympiastadion garnieren, war ein Kniefall vor den alten Fans. Eine Rückbesinnung auf Thrashmetal-Werte.

Geschenk an alle Nachgeborenen

So ist es nur konsequent, dass sich die Band nach zwei Stunden geschlossen im Bogen des Laufstegs aufbaut, nicht die Breite der Bühne, sondern die Tiefe des Raumes nutzend, um noch einmal inmitten ihrer Fans dieses Hochgefühl der Anfangsjahre wiederaufleben zu lassen. Da stehen James Hetfield, Lars Ulrich, Kirk Hammett und Robert Trujillo also dicht gedrängt, wie in einem dieser stickigen Kellerclubs in der kalifornischen Bay Area, wo einst ihre Karriere begann, jetzt allerdings im nahezu ausverkauften Olympiastadion, und beenden ihr reguläres Konzert mit einem lupenreinen Thrashmetal-Hattrick aus den frühen achtziger Jahren: “For Whom the Bell Tolls”, “Creeping Death”, mit dem sie die Arena in ein infernalischen Rot tauchen, und schließlich “Seek & Destroy”. Ein Geschenk an alle Nachgeborenen. Metallica meinen es in ihrem 38. Jahr immer noch verdammt ernst. Das klingt wie eine Drohung. Aber es ist ein Versprechen.

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