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Michael Hanekes „Liebe“ in Salzburg: Stationen der Überforderung und Hilflosigkeit
Erstmals lässt der österreichische Regisseur Michael Haneke einen seiner Filme für die Bühne adaptieren. Karin Henkels Inszenierung von „Liebe“ ist ein Drama über das Sterben und den Zustand der Pflegeindustrie.
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Vor elf Jahren kam Michael Hanekes Film „Liebe“ in die Kinos, ein Kammerspiel über gut situiertes Pariser Ehepaar im Ruhestand, prominent besetzt mit Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva. Nachdem die Frau einen Schlaganfall erleidet und pflegebedürftig geworden ist, beginnt das Paar sich von der Außenwelt abzuschotten. Ihr Mann ist überfordert vom hilflosen Ertragen ihrer Qual, schließlich greift er scheinbar spontan nach einem Kissen und erstickt sie. „Liebe“ beginnt beim Auffinden von Annes Leiche und ist in Rückblenden erzählt, ein intimer Film der Bilder und wenigen Worte.
Erstmals überhaupt hat Michael Haneke einen eigenen Film für eine Bühnenadaption freigegeben, realisiert hat sie Karin Henkel in enger Absprache mit dem Regisseur. Im Kern bleibt sie dem Drehbuch treu, bricht aber das Setting auf und weitet so den Fokus. Zu Beginn sitzt André Jung am rechten Bühnenrand und hält ein Kopfkissen fest, starrt leer vor sich hin mit einer Mischung aus Verzagtheit und Trotz. Wer Hanekes Film kennt, weiß, was das Kopfkissen zu bedeuten hat.
Muriel Gersters Bühne besteht zunächst aus einem klinisch-weißen Tunnel, der sich in der Tiefe des Raumes verengt. Wenig später öffnet sich oben eine Klappe, ein Fuder Erde stürzt herab. Dann weitet sich der Raum mehr und mehr, ein Flügel wird hereingeschoben, ein Mann stimmt ein Schubert-Impromptu an. Irgendwann rollen Pflegebetten auf die Bühne, Rollstühle, doch der Raum bleibt abstrakt, mehr Versuchsanordnung als reales Setting.
Karin Henkel erzählt in ihrer Inszenierung von allen Stationen der Überforderung und Hilflosigkeit, auch den Details des Verfalls – ohne sie jedoch in ihrer Drastik zu zeigen. Und sie fügt Recherchen ein über den Alltag der Pflegeindustrie. Im kalten Staccato wird da zitiert aus Lehrbüchern für Pflegepersonal: wie man Patienten zu lagern und zu windeln hat, ein Leistungskatalog wird heruntergeleiert, Oberkörperwäsche, Ganzkörperwäsche, kämmen, anziehen, drei Minuten, fünf Minuten, eine Minute.
Eine Reflexion über Krankheit und Sterbehilfe
Die kranke Anne wird nicht von einer einzigen Schauspielerin gespielt, ihre Rolle übernehmen mehrere Personen. Eine Version verkörpert Joel Small und macht virtuos Verfall und Kraftverlust sichtbar. Später konzentriert sich die Performance mehr und mehr auf die Schauspielerin Katharina Bach, die zudem die Tochter spielt.
Die Rollen sind teils fluide besetzt, im Zentrum aber steht André Jung als überforderter, störrischer Ehemann. Jung macht aus seiner Aufgabe kein Star-Theater, sondern agiert eher zurückhaltend und begreift sich als Teil einer Reflexion über Krankheit, Überforderung, Hilflosigkeit und dem heiklen Thema der Sterbehilfe.
Ein weiterer Bruch mit Hanekes Film ist der Chor von Laien: ältere Menschen, die selbst betroffen sind von einer schweren Krankheit oder dem Tod von Angehörigen. Sie rücken vor der Pause in den Mittelpunkt und berichten von ihrem Schicksal. Unter ihnen sind Menschen, die sterben wollten, dann aber doch weiterlebten; Menschen, die einen Suizid akzeptieren mussten; die krank und eingeschränkt sind und trotzdem ihr Leben genießen. Diese inklusive Passage stellt die lange unausgesprochene Frage des Abends in den Mittelpunkt: Was ist ein lebenswertes Leben und wer hat darüber zu befinden?
Karin Henkel gelingt mit ihrer Bühnenfassung etwas mit Haneke Vergleichbares: Ihre Inszenierung berührt, wird aber niemals gefühlig. Denn sie verschiebt den Fokus des Films vom privaten Drama hin zu gesellschaftlichen Fragen: Wie gehen wir mit Alter, Krankheit und Pflege um? Müssen wir das Thema Sterbehilfe überdenken? Ein ernster, konzentrierter, niemals plakativer Abend.
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