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Verstand verloren: Hans Dallinger (Tobias Moretti) fühlt sich verfolgt.

© movienetfilm

Schizophrenie-Drama „Hirngespinster“ mit Tobias Moretti: Mit und ohne Verstand

Was tun, wenn man den Verstand verliert? In Christian Bachs Familiendrama „Hirngespinster“ spielt Tobias Moretti einen schizophrenen Architekten - gequält und hellwach.

Jenseits des Gartenzauns lauert die Missgunst, diesseits nistet die Furcht, von der kleinstädtischen Gesellschaft vollends ausgegrenzt zu werden. Den Anlass dazu bietet eine Krankheit, vor deren Symptomen die Gesunden am liebsten davonlaufen: Schizophrenie. Hans Dallinger (Tobias Moretti spielt diese Figur mit einem Namen wie aus einem Karl-Valentin-Sketch), erfolgreicher Architekt und geachteter Familienvater, reißt wütend die Satellitenschüssel des Nachbarn herunter, die ihn angeblich bedroht. Nach einer Axtattacke auf ein Fahrzeug landet der Mann zwangsweise in der Psychiatrie, vorübergehend. Wann kommt der nächste Schub?

Nach Erlebnissen aus dem Freundeskreis und eigenen Recherchen hat Christian Bach, Jahrgang 1977, die Story der Ohnmacht einer Familie entworfen, die von einer reflexhaft reagierenden Umwelt langsam ausgegrenzt wird. Im Mittelpunkt von „Hirngespinster“ steht der erwachsene Simon (Jonas Nay), in dessen Sorge um den Vater sich die Angst mischt, diese Krankheit zu erben. Noch gibt es keinen Test, der dies ausschließen könnte, sagt der Arzt. Würde die Familie, zu der noch Dallingers Frau Elli und die kleine Tochter Maja gehören, den unheilbar Kranken lieber in einer geschlossenen Anstalt sehen? Zumal die Krankheitssymptome nach der Entlassung wieder bedrohlich zunehmen. Als der Mann ahnt, dass man ihm die verhassten Psychopharmaka ins Essen mischt, ernährt er sich nur noch aus Konservendosen.

„Wer hin und wieder seinen Verstand verliert, der hat wenigstens einen“

Vergleichbar der Medizin, die Schizophrenie lindern, aber nicht heilen kann, beruhigt auch der Film seine Zuschauer nur halbwegs. Der Sohn wird, die Liebesgeschichte mit Verena (Hanna Plaß) ist schnell eingeflochten, aus der Kernzone des Familienunglücks hinauskatapultiert. Den stärkeren Part hat ohnehin der Vater – Moretti spielt ihn mit der Energie einer gespannten Feder. Ein Gequälter und Hellwacher ist er, einer, der in einem Architekturwettbewerb letzten Halt sucht und zugleich spürt, wie er abstürzt.

Einmal bricht aus seiner geduckten, sich nach der Liebe ihres Mannes sehnenden Ehefrau Elli (Stephanie Japp) die Verzweiflung heraus. Das erträgt er kaum. Sparsam bezieht die Regie den Kreis der Nachbarn ein: Menschen, die kaum je auf eine verrückte Idee kommen dürften. Für sie hält Elli die trockene Weisheit bereit: „Wer hin und wieder seinen Verstand verliert, der hat wenigstens einen.“ Hans Dallinger besitzt viel Verstand, und Christian Bach hatte den Kunstverstand, diese Geschichte mit Feingefühl auf die Leinwand zu bringen.

Filmkunst 66, Kulturbrauerei, Toni

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