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Fontane-Denkmal n Neuruppin

© picture alliance/dpa

Theodor Fontane und seine Zeit: Modern, nicht märkisch

Er ist mehr als nur der "olle Fontane". Der vor 200 Jahren geborene Autor beschrieb in seinen Büchern eine Zeitenwende.

Ein gängiges Bild Theodor Fontanes, dessen Geburtstag sich im Dezember zum 200. Mal jährt, ist immer noch das des alten, gemütlichen, ja konservativen Plauderers. Warum, lässt sich unschwer beantworten. Zunächst zeigen viele seiner Porträts, seien es Gemälde oder Fotografien, einen Herrn mit ergrautem Haar und riesigem Schnurrbart. Da liegt es nahe, ihn mit dem alten Dubslav von Stechlin zu verwechseln, dem Protagonisten aus seinem letzten Roman, der in der Tat gerne plaudert und als konservativer Wahlmann antritt. Oder mit dem betagten Herrn von Ribbeck aus der berühmten Ballade, der, wenn „die goldene Herbsteszeit“ kam, Birnen an herumstreunende Mädel und Jungen zu verteilen pflegte.

Es ist nicht von ungefähr so oft die Rede vom „ollen Fontane“. Der Hauptgrund liegt sicher darin, dass der am 30. Dezember 1819 in Neuruppin geborene und 1898 in Berlin gestorbene Apotheker, Kriegsberichterstatter, Auslandskorrespondent, Theaterkritiker und Dichter neben den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ vor allem mit seinen großartigen Romanen berühmt wurde, die er erst im Alter von knapp 60 Jahren zu publizieren angefangen hatte.

Was hat Fontanes Ballade "John Maynard" mit Brandenburg zu tun?

Tatsächlich ist das onkelhafte Bild schief bis verheerend – weil es verhindert, Fontane als den modernen, progressiven und in Ansätzen feministischen Schriftsteller zu lesen, der er auch und wesentlich war. Zum Beispiel das Wörtchen „oll“. Laut Duden bedeutet es „alt und abgenutzt“, auch „verschlissen“, und wird in aller Regel abwertend benutzt. Es lässt sich aber auch scheinbar positiv verwenden, familiär, um Intimität heischend. Dann bekommt es eine verniedlichende Note. Über den „ollen Fontane“ will sich, wer ihn so nennt, unter vorgeblicher Zuneigung erheben.

Andersherum funktioniert es genauso. Ihn etwa zum „Goethe Brandenburgs“ zu verklären, ist nichts anderes als der Versuch, diesen großen Internationalisten kleiner zu machen, als er ist. Was hat etwa die Ballade „John Maynard“ mit der Mark Brandenburg zu tun? Nichts, widmet sie sich doch der Fahrt eines Passagierdampfers auf dem nordamerikanischen Eriesee und dem heldenhaften Tod des Steuermanns. Das gilt auch für die Romane „Quitt“, der zum Teil in den USA spielt, oder „Unwiederbringlich“, dessen Handlung in Schleswig-Holstein und Dänemark angesiedelt ist.

Man tut Fontane unrecht, wenn man ihn so reduziert. Schon die Tatsache, dass seine Enkelgeneration, zu der Thomas Mann und dessen Bruder Heinrich zählten, ihn bewunderte und als einen der ihren betrachtete, zeigt, dass mehr in ihm stecken muss. Nicht zu vergessen, wie sich der vermeintliche Traditionalist für Ibsen und Gerhart Hauptmann einsetzte. Er war ein „prachtvolles Gemisch von Lavendelduft und neuer Zeit“, schrieb 1919 Kurt Tucholsky.

Fontane wirbt um Verständnis für seine Heldinnen

Der Verfasser von „Effi Briest“, einem Ehebruchsroman, der den Vergleich mit Flauberts „Madame Bovary“ nicht zu scheuen braucht und dem Thomas Mann den Namen Buddenbrook entlehnte, war kein engagierter Autor oder selbsternannter Weltverbesserer. Auch wenn sich in seinen Romanen Kritisches über Bismarck und Preußen findet, war seine literarische Haltung subtiler: Er wollte die Wirklichkeiten abbilden, wie sie waren, wovon so minutiöse, schon naturalistische Milieustudien wie die des verarmten Adels in den „Poggenpuhls“ oder die Alltagsbeschreibungen „kleiner Leute“ in „Irrungen, Wirrungen“ Zeugnis geben.

Die Kritik am Adel ist bei aller Sympathie, die Fontane dieser erstarrten und im Untergang begriffenen Schicht entgegenbringt, in seinem Werk allgegenwärtig. Die jungen Frauen in „Irrungen, Wirrungen“ oder in „Stine“, die es nicht wert sind, einen Adeligen zu heiraten (so sah man es damals), erscheinen von höherem Wert als diese von falschem Ehrgefühl zerfressene Spezies. Schach von Wuthenow etwa, der den von Friedrich Wilhelm III. und Königin Luise angemahnten Eheschluss mit der durch Blattern entstellten Victoire nicht ertragen kann. Aus Angst vor Spott erschießt er sich. Fontane geht es darum, gesellschaftlich stigmatisierten oder verurteilten Frauen wie Cécile, Melanie aus „L’ Adultera“ oder eben Effi Briest Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, er wirbt um Verständnis für ihre Schicksale.

Fontanes Prosa steht der Poesie nahe

Wenn er auch nach heutigen Begriffen kein Feminist war, so widmete er doch den Frauen und ihrer Stellung ein hohes Maß an mitfühlender, kritischer Aufmerksamkeit, zeigte anhand weiblicher Lebensentwürfe Schieflagen und Widersprüche auf und trug Wesentliches zu einer Kulturgeschichte der Frau im 19. Jahrhundert bei, wie die Preußen-Kennerin Christine von Brühl in ihrem Buch über „Fontanes Frauen“ zeigt. Seine Protagonistinnen sind selbstbestimmte Individuen, die gegen Konventionen verstoßen. Fontane begegnet ihnen mit Sympathie, ihr Handeln wird von ihm regelrecht gutgeheißen. Seine eigene Ehe führte er auf Augenhöhe, wie man dem Ehebriefwechsel unschwer entnehmen kann. Und im „Stechlin“ wird die weit verbreitete Misogynie explizit als etwas „Krankhaftes“ verurteilt.

Darauf, dass Fontanes Prosa der Poesie nahesteht, wies schon Thomas Mann hin. Ihm ging es nicht ums „nackte, prosaische“, er forderte künstlerische „Verklärung“. Sein Konzept des poetischen Realismus macht ihn zu einem Geistesverwandten Iwan Turgenjews, und es ist kaum übertrieben, im tolstoiesken „Vor dem Sturm“, dem großen Panorama-Roman über die Zeit der napoleonischen Besatzung, der bis heute viel zu wenig Beachtung findet, das deutsche respektive preußische Pendant zu „Krieg und Frieden“ zu sehen.

Fontane, der auch einige Kriminalgeschichten veröffentlichte, war gleichermaßen Humorist und Psychologe. Seine Romane sind von einer bemerkenswerten Offenheit. Für seine „Hurenromane“, wie manche in Berlin schimpften, wurde er heftig angefeindet, wie übrigens auch dafür, dass er Distanz zum grassierenden Nationalismus hielt. In seiner kompakten, das politisch-historische Umfeld beleuchtenden Biografie „Theodor Fontane. Der Romancier Preußens“ betont Hans Dieter Zimmermann, dass es ihm immer um eine spezifisch preußische, nie um eine deutsche Geschichte ging.

Iwan-Michaelangelo D'Aprile porträtiert Fontane als Experimentierer

Auch Hans-Dieter Rutschs „Der Wanderer“ und Regina Dieterles ausführliche Lebensbeschreibung „Theodor Fontane“ sind unter den neuen Publikationen im Biografischen zu nennen. Aus ihnen heraus sticht der glänzende Band „Fontane. Ein Jahrhundert in Bewegung“ von Iwan-Michelangelo D’Aprile, der als Professor für Kulturen der Aufklärung in Potsdam lehrt und den Kosmopoliten als ungeheuer durchlässigen Experimentierer porträtiert.

Modern war nicht nur Fontanes Menschenbild, sondern auch die Welt, die sich um ihn herum rasant veränderte. Was in Berlin erst im Kommen begriffen war, hatte er während seiner Zeit in England bereits erlebt. Die Zeitenwende – technischer Fortschritt, industrielle Revolution, räumliche Vernetzung durch die Eisenbahn, Sozialdemokratie – spiegelt sich in seinen Texten, deren Horizont meist ein globaler ist.

„So weit sind wir noch nicht“, heißt es einmal in „Effi Briest“. Das war Fontanes Haltung in vielerlei Hinsicht. Sie hinderte ihn nicht daran, einen Blick in eine liberalere und demokratische Zukunft zu wagen. Ein Stück weit half er, ihr den Weg zu ebnen. Tobias Schwartz
 

Iwan-Michelangelo D’Aprile: Fontane. Ein Jahrhundert in Bewegung. Rowohlt 2018, 544 S., 28 €

Christine von Brühl: Gerade dadurch sind sie mir lieb. Theodor Fontanes Frauen, Aufbau 2018, 368 S., 22 €

Regina Dieterle: Theodor Fontane. Hanser 2018, 832 S., 34 €

Hans-Dieter Rutsch: Der Wanderer. Das Leben des Theodor Fontane, Rowohlt Berlin 2018, 333 S., 26 €

Burkhard Spinnen: Und alles ohne Liebe. Theodor Fontanes zeitlose Heldinnen, Schöffling 2019, 112 S., 12 €

Hans Dieter Zimmermann: Theodor Fontane. Der Romancier Preußens, C.H.Beck 2019, 458 S., 28 €

Am Samstag, 30. März, wird in Neuruppin offiziell das Fontane-Jahr eröffnet. Mehr unter: www.fontane-200.de

Tobias Schwartz

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