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Kultur: Mörderväter, Vatermörder

Krankheit der türkischen Jugend: Feridun Zaimoglus „Leyla“ im Hans Otto Theater Potsdam

Zunächst ist das alles nur Theater. Auch im hohlen Sinne, also: Theaterei. Ein Wald von schiefen kahlen Stämmen kommt uns vor, als spielte aus dem Bühnenhimmel jemand Mikado mit Beckett. Aber durch den grauen abstrakten Bedeutungs-Raum tobt dann gleich eine barmende, schreiende, fuchtelnde Armeleutefolklore. Die Frau in Kittel und Kopftuch wird von einem Kerl in Gummistiefeln niedergebrüllt und mit Gestöhn vergewaltigt, die Kinder starren oder kreischen, und ein zotteliger Märchenonkel, genannt der „weise Irre“, deklamiert Andächtiges von Wölfen und Salamanderzeiten („Ein Zeichen“). Das wird aus dem Off untermalt von Schüssen, Paukenschlägen oder sanften Saitenklängen.

Wir sind im schicken neuen Hans Otto Theater am Potsdamer Wasser. Doch die da vorne auf der Bühne zappeln erst mal auf dem Trockenen: in einem Kaff irgendwo in Anatolien, in einer Dramatisierung von Feridun Zaimoglus großem epischen Roman „Leyla“. Diese Uraufführung scheint so auf den ersten Blick eine Bauchlandung zu werden: ohne künstlerischen Kopf. Dafür mit jeder Menge Herz und Schmerz und multikultisch ganz tief bemüht. Aber das alles nimmt noch eine erstaunliche Wendung. Vor allem, wenn wir an die mögliche Wirkung denken. Denn die Potsdamer „Leyla“ könnte, von den richtigen (jungen) Leuten gesehen, ein Stück der Stunde sein.

Zaimoglu, der 42-jährige deutsch-türkischen Schriftsteller, ist mit „Leyla“ in die Kindheits- und Mädchenjahre seiner eigenen Mutter gereist, von der Innertürkei über das Istanbul der 50er, 60er Jahre in die Bundesrepublik der frühen Gastarbeiterzeit.So heißt es schon im Prolog: „Dies ist eine Geschichte aus der alten Zeit. Aber keine alte Geschichte.“ Es ist die Werdegeschichte der Türken in Deutschland, ist auch die Vorgeschichte der „Kanakster“ sprechenden Kids, die heute so oft zum Integrationsproblem einer allzu späten Einwanderungs-, Gesellschafts- und Bildungspolitik geworden sind.

Keine zweistündige Theateradaption kann indes mehr als den Hauch und Abglanz eines stimmungs- und personenreichen Fünfhundertseitenromans auf die Bühne bringen. Ob ein Buch oder jetzt in Berlin auch ein Film wie Fatih Akins „Gegen die Wand“ ins Theater versetzt wird: Meist bleibt das eine zwittrige Nach-Stellung – eine Fastfood- oder Nesquick-Variante. Statt was Neues, Eigenes. Mit Zaimoglus großzügigem Segen haben der in Berlin aufgewachsene Regisseur Yüksel Yolcu und die Potsdamer Dramaturgin Anne-Sylvie König immerhin die wesentlichen Motive des Romans handfest montiert. Und Yolcus Inszenierung gelingt, als das Kind Leyla zum Schulmädchen wird, auch die Anmutung einer türkischen Version von erotischem „Frühlings Erwachen“: in einer sexuell so unterdrückten wie neugierigen Frauenwelt. Krankheit der Jugend, Schande der Eltern.

Man merkt da in den Arrangements und am Eifer des überwiegend jungen Ensembles, dass der Regisseur tatsächlich vom Schüler- und Jugendtheater kommt, im Guten wie im Gutgemeinten. Die Handlung und Figuren gewinnen jedoch an Eigenleben und Echoraum, je mehr Leyla und ihre Geschwister der Fuchtel des sozial oder psychologisch kaum konturierten, nur immer Frau und Kinder schändenden, einmal gar mordenden Vaters entkommen. Vor allem nach der Pause beim Szenen-Wechsel vom anatolischen Wald ins lichtere Istanbul wächst im Spiel nicht nur die Leyla-Darstellerin Caroline Lux – und die sagt dann für alle so schön mehrsinnige Sätze wie: „Ich will ein elektrisches Leben führen.“ Ein Signal des Aufbruchs. Ihr Schwiegervater Schafak, der das Patriarchat nicht mehr in tyrannischer, sondern mitmenschlicher Weise verkörpert, weiß zudem das: „Einsamkeit erträgt nur Gott.“ Diesen Schafak Bey spielt unter den deutsch-deutschen und deutsch-türkischen Akteuren der hier eindrucksvollste, anrührendste Theatertürke: Roland Kuchenbuch.

Die Genrebilder, die Erzählform bleiben dabei märchenhaft naiv. Aber bis Leylas Mann und der Rest der Familie ins gelobte Deutsch-Land aufbrechen, ist dieses Märchen auch, wie alle guten Märchen, im Kern hart, realistisch – und grausam. Es wird zur liebevoll unerbittliche Abrechnung mit dem System der Väter, vor denen oft genug die Kinder sterben. Die türkisch-islamisch-nationalistisch-mannwahnhafte „Ehre“ ist da nichts als Fassade. Für Macht, Unterdrückung, Doppelmoral. Zaimoglus und Yüksel Yolcus „Leyla“ gehört deshalb nicht nur nach Potsdam. Die Aufführung, kein Kunstereignis, aber eine spielerische Lektion, sollten die türkischen und deutschen (Haupt-)Schüler aus Berlin sehen. Diesen Ausflug müssten die Schulleitungen und der Senator zur Pflichtreise machen. Aus der Vorgeschichte in die Gegenwart.

Wieder am 18. und 24. 2., am 4. und 15. 3.

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