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Der Hochtalentierte, der mit Undiszipliniertheiten aus der Rolle fällt: Mike Patton dirigiert seine Band Mr. Bungle mit Händen und Füßen.

© imago/MediaPunch/IMAGO/Kevin Estrada

Mr. Bungle in Berlin: Rasender Osterhase, vom wilden Affen gebissen

Die Avantgarde-Rocker von Mr. Bungle waren früher für ihre wilden Stil- und Tempowechsel bekannt. Jetzt haben sie den Thrashmetal entdeckt. Eindrücke von einem kuriosen Musik-Kabarett.

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Man trifft sicher keinem Fan zu nahe, wenn man Heavy Metal eine wertkonservative Musik nennt. Große Teile der Szene würden dieses Urteil vermutlich sogar als Ehrenabzeichen betrachten. Genauso verlässlich ist aber die Aussage, dass der Metal interessanter wird, je mehr man sich dem stetig expandierenden Kraftfeld von Dave Lombardo nähert.

Und damit ist nicht die Bar in Berlin-Mitte gemeint, die sich nach dem legendären Slayer-Drummer benannt hat. Schon während seiner Zeit bei den kalifornischen Thrash-Metallern verfolgte er seine abseitigen Nebenprojekte, seit seinem Ausstieg wird er auch gerne als Hochgeschwindigkeitsmetronom angestellt.

Am Mittwoch befindet man sich im Huxley’s Neue Welt in Berlin-Kreuzberg im unmittelbaren Kraftfeld von Dave Lombardo, der sich standesgemäß hinter einem imposanten Schlagzeugset verschanzt hat. „Schießbude“ hieß das früher in Musikmagazinen wie dem „Rock Hard“, aber Lombardo ist natürlich, selbst in den Geschwindigkeitsbereichen des Kolibri-Flügelschlags, ein viel zu filigraner Techniker für martialisches Vokabular. Seit über zwanzig Jahren verbindet Dave Lombardo und Mike Patton eine überaus fruchtbare Partnerschaft, die unter anderem die phänomenalen Mathcore-Loungetiger Fantômas hervorbrachte.

Cartoon-Version von Deathmetal

An diesem Abend stehen sie als Herzstück von Pattons Avant-Metal-Supergroup Mr. Bungle auf der Bühne des Huxley’s. Mit Scott Ian, dem letzten Originalmitglied der Thrash-Helden Anthrax, haben sie noch einen weiteren Veteranen aus dem Lager der schnellen Finger gewinnen können. Gelebte Musikgeschichte ist da also versammelt, für eine durchaus musikhistorische Aufführung.

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Als Slayer 1986 ihren Klassiker „Reign in Blood“ veröffentlichten, war Mike Patton gerade 18 und noch ein paar Jahre davon entfernt, Sänger bei den MTV-Superstars Faith No More zu werden. Im selben Jahr hatte er mit Mr. Bungle in San Francisco, damals das Epizentrum des amerikanischen Thrash Metal, gerade das Demo-Album „The Raging Wrath of the Easter Bunny“ auf Kassette aufgenommen, das nicht nur wegen des Grottensounds wenig mit dem musikalischen Reinheitsgebot des Genres zu tun hatte. Es war eher die Cartoon-Version von Deathmetal: Patton spielte damals unter anderem Trillerpfeife und Bongos, Kollege Trevor Dunn das Kazoo.

35 Jahre später kam Mike Patton auf die Idee, diese historisch wertvollen Aufnahmen seiner inzwischen aufgelösten Band endlich ihrer wahren Bestimmung zuzuführen. Dafür rekrutierte er neben den Originalmitgliedern Trevor Dunn und Trey Spruance eben Lombardo und Ian für Neuaufnahmen. Und das 2020 veröffentlichte Album „The Raging Wrath of the Easter Bunny“ legte unter Tonnen von analogem Schlick und Signalrauschen überaus gegenwärtige Thrash-Metal-Songs frei – abzüglich präpubertärer Titel wie „Anarchy Up Your Anus“ –, eingespielt mit einigen der Besten ihres Fachs.

Und so standen die Apokalyptischen Fünf am Mittwoch also auf einer Kreuzberger Bühne für ihr einziges Deutschland-Konzert; und dem ersten seit fast einem Vierteljahrhundert. Patton natürlich wieder in seiner bekannten Rolle als absurder Zappelphilipp mit Harlekin-Frisur und – tatsächlich – einer Trillerpfeife um den Hals.

Und vor ihm stand ein Mischpult, dem er den griffigsten White Noise zu entlocken vermochte. Patton gab schon zu Faith-No-More-Zeiten den Zeremonienmeister, was nicht nur damit zu tun hat, dass sein Instrument die Stimme ist. Seine Bandbreite reicht noch immer vom schönen Crooning bis zum knochenerschütternden Death-Metal-Grunzen.

Virtuosen in jedem musikalischen Genre

Auch am Mittwochabend dirigiert er seine Band mit Händen und Füßen, nur gelegentlich verwundert, wenn sich diese perfekt eingespielte Maschine plötzlich verselbstständigt. Schon zu Hochzeiten in den 1990er Jahren ist Mr. Bungle immer mehr Musik-Kabarett als eine ernsthafte Band gewesen, obwohl Patton und seine Musiker als Virtuosen in fast jedem musikalischen Genre durchgehen. Er gefällt sich in der Rolle des Hochbegabten, der mit Undiszipliniertheiten aus der Rolle fällt.

Drummer-Legende Dave Lombardo gibt das Hochgeschwindigkeitsmetronom der Band.

© imago/MediaPunch/IMAGO/Kevin Estrada

Der rasende Osterhase, der als Hintergrundmotiv von der Bühne herabblickt, ist allerdings vom wilden Affen gebissen. Mit Lombardo und Ian an Gitarre und Schlagzeug spielt sich die Band in einen aberwitzigen Geschwindigkeitsrausch, wo früher halsbrecherische Stil- und Tempowechsel zum Markenzeichen von Mr. Bungle gehörten.

Jede andere Gangart wäre in dieser fantastischen Supergroup allerdings auch verschenkt. Im Grunde wird man an diesem Abend Zeuge einer kindlichen Regression: Männer um die Ende 50 spielen die Musik ihrer Jugend nach. So lässt sich im Grunde auch jedes Line-up des Metal-Festivals Wacken zusammenfassen, wäre da nicht der Ironie-Modus, in den Patton jederzeit schalten kann.

Angefangen beim schmerzhaft dissonanten Wagner-Intro („Zarathustra“ als Katzenmusik) über eine Coverversion des, natürlich, Slayer-Hits „Hell Awaits“, das die Band mit der Spandau-Ballet-Ballade „True“ zu einem furiosen Mash-up vermengt. Da strecken auch die härtesten Metalfans die Feuerzeuge in die Luft – mitten im Moshpit, versteht sich.

Patton hatte immer schon eine leichte perverse Neigung zu den Abgründen der Deutschen. Da gehört der Wettbewerb mit deutschen „Flachwitzen“, für den die Bandmitglieder mitten im Konzert in die Rolle der Kandidaten schlüpfen, noch zu den harmloseren Obsessionen. Humor hat im Metal-Zusammenhang schließlich noch nie geschadet. Mr. Bungle bereicherten das Genre sogar um musikalischen Humor, der – wenn es arg ironisch wird – allerdings auch schnell gestrig wirken kann. Angemessen eigentlich für einen Abend, der vierzig Jahre alten Songs eine Frischzellenkur verpasst.

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