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An der Rampe: Silvia Rieger im Kampf mit der Mythologie. Foto: Elsa Okazaki/Volksbühne

© Foto: Elsa Okazaki/Volksbühne

Musical für das Matriarchat an der Volksbühne: „Hyäne Fischer“ - die Hymne der Hodenlosen

Parodie oder verdammt erst gemeint? Die jüngste Produktion am Rosa-Luxemburg-Platz greift die böse Männerkultur mit den Mitteln des Schlagers an.

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Die Volksbühne wird zum Revuetheater. Das kann man im Prinzip nur begrüßen, in Zeiten wie diesen. Sie sind schwer genug. Schade aber, dass sich die neue Entertainment-Kultur am Rosa-Luxemburg-Platz so humorlos zeigt und eine aktivistische Agenda verfolgt.

Wenn Marlene Engel, Lydia Haider und Eva Jantschitsch unter dem cleveren Titel „Hyäne Fischer“ das „totale Musical“ ausrufen, meinen sie es ernst. Von Ironie dann keine Spur in dem neuen Stück, das „hodenlos“ – mit „h“ wie Helene F. – den Durchmarsch zum Matriarchat ausruft. „Nicht ohne Transfeminismus“, wie es auf den T-Shirts der Akteurinnen steht.

Ein neuer Theaterkult

Nach langer Zeit gab es in einer Volksbühnenpremiere mal wieder Buhrufe. Ansonsten brave Akklamation. Die Veranstaltungen an diesem Haus bekommen zunehmend etwas Sektiererisches, die Arbeit einer weiteren letzten Generation.

Kurz rekapituliert: Im September hat Florentina Holzinger an der Volksbühne „Ophelia’s Got Talent“ herausgebracht. Die massive, aufwändige Produktion besitzt Friedrichstadt-Palast-Dimensionen und gilt als heißer Scheiß. Es entwickelt sich so etwas wie ein Kult um Holzingers Kreationen, die Schmerz und Gewalt feiern – mit Live-Tattoos, Unterwasser-Entfesselung, Selbstverstümmelung, Organspiegelungen und wilden Stunts auf dem Rumpf eines Helikopters im Volksbühnenhimmel.

Diesmal sind sie alle angezogen

Holzingers Brutal-Zirkus kommt an. Zuschauer klatschen rhythmisch mit bei nicht ungefährlichen Actionszenen. Dass es um männlich geprägte Mythologie und ihre Abschaffung gehen soll, erscheint dabei sekundär.

Bei Holzinger stehen allein Frauen auf der Bühne, alle nackt. Auch die Regisseurin trägt nur Haut. Sie beherrscht diese Arena. Das gelingt nicht vielen. Ihre Spiele ohne Grenzen seien noch nicht am Ende, sagt sie in einem Gespräch mit „Theater der Zeit“, da gehe noch einiges.

Die 1986 geborene Wienerin zieht ihre Sache durch. Das kann man respektieren, da kann man auch wegbleiben. Es gibt jetzt bereits Holzinger-Nachahmerinnen an der Volksbühne. Und damit zurück zu „Hyäne Fischer“. Bei „Ophelia’s Got Talent“ wird das Muster der Casting show ausgeschlachtet, während das Fischer-Chorsingen mit Live-Orchester wie der Samstagabend vor der Glotze mit beliebten Schlagerstars ausfällt. So ungefähr.

Wir sind die Faschoficker

Liedtext

Wieder große Bühnendekoration, wieder auch ein allerdings flacheres Plantschbecken. Wieder ein Frauenensemble, diesmal aber entweder in Kampfanzügen oder langem Glamourkleid. Und erneut ein Dickicht von Mythen und fetten Sprüchen („Wir sind die Psychokiller/Wir sind die Faschoficker/Mit einem Schlag/treiben wir euch ab“). Über die langen Textpassagen, die laut und gepressst vorgetragen werden, lässt sich schon deshalb nicht viel sagen, weil man so wenig versteht – nicht bloß akustisch.

Die austrofeministischen Künstlerinnen arbeiten sich naturgemäß an Elfriede Jelineks literarischen Kaskaden und österreichischem Selbsthass ab. Pollesch-Passagen flackern auf. Dann wieder klingt „Hyäne Fischer“ irgendwie nach Altem oder Neuem Testament, mehr Oratorium als Musical. In den ausgedehnten neunzig Minuten geht ihnen bald die Puste aus. Die Frauen kämpfen in einer flackernd beleuchteten Szene miteinander, als Waffe dient, wenn man das aus der Ferne richtig sieht, ein Schnitzelklopfer. Wiener Schnitzel und andere panierte Speisen werden häufig angesprochen, genauer: der Ekel davor.

Nun gut, die Bouletten der Volksbühnenkantine damals hatten es in sich. Der Patriarch Frank Castorf schuf gut gelauntes Chaos. In Erinnerung aber bleibt, wie die Schauspielerinnen, die Castorf gern in betont sexy Kostümen vorführte, stark und selbstbewusst auftraten und die Aufführungen an sich zogen. Es liegt jetzt wohl auch am schauspielerischen Talent: „Hyäne Fischer“ wirkt seltsam defensiv und in den Massenszenen ungeschickt.

Zwei Heroinnen der alten Zeit kommen groß an die Rampe. Silvia Rieger deklamiert mit heiligem Zorn den Haider-Text, rollt mit den Augen, als suche sie nach Opfern in ihrer Klytämnestra-Pose, jeder Satz ein Dolch. Kathrin Angerer dagegen zieht sich kühl in sich selbst zurück. Sie singt die Hymne der Hyänen, den umgedichteten Hit: „Hodenlos an die Macht“. Man kann den Eindruck haben, dass ihr das nicht unbedingt behagt. Sie fasst den Schlager mit spitzen Fingern an. Aber sie wahrt die Form. Das ist viel an einem bodenlosen Abend.

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