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Der Kurs „Musik-Ensemble“ des Wilmersdorfer Friedrich-Ebert-Gymnasiums bei der Arbeit an ihrem „Querklang“-Beitrag.

© Kerstin Wiehe

Musik-Workshop für Schüler: Mehr als nur eine Komposition

Seit 15 Jahren gibt es „Querklang“: Der Workshop für experimentelles Komponieren ermutigt Schüler und Schülerinnen, ihre eigene Kreativität zu entdecken.

Luca reicht’s: „Ist das unser Stück oder Ihres?“, fragt er provozierend laut in den Raum. Der Elftklässler schaut dabei zwar seine Mitschüler an, doch jeder weiß sofort, wer gemeint ist. Genoel von Lilienstern nämlich, der Komponist, mit dem der Oberstufenkurs „Musik-Ensemble“ des Wilmersdorfer Friedrich-Ebert-Gymnasiums bei „Querklang“ zusammenarbeitet. Die Zeit drängt, in zwei Tagen sollen die 25 Schülerinnen und Schüler ihr gemeinschaftlich entwickeltes Stück das erste Mal den anderen Teilnehmern des Projekts vorstellen – darum hat der Profi heute mehr in den kreativen Prozess eingegriffen als gewohnt.

Er hat Vorschläge gemacht, für eine Art geräuschhaftes Vorspiel, für eine klangliche Verdichtung hier, eine akustische Spreizung dort. Seine Ideen sind hilfreich, sein Tonfall war kameradschaftlich – und doch wuchs bei Luca der Unmut. Erst hat er nur mit Elisabeth getuschelt, die am Keyboard neben ihm steht, dann zogen sich die beiden in eine Ecke zurück, während Genoel von Lilienstern mit den Spielerinnen und Spielern der Xylophone, der Triangeln und der Rasseln weiter an Details feilte. Schließlich aber musste Luca sich Luft machen. Doch es kommt nicht zur Revolte der Jugendlichen. Mögen manche auch seiner Meinung sein, weitere Gegenstimmen werden nicht laut, der Komponist reagiert souverän, der Lehrer lenkt die Stimmung zurück in konstruktive Bahnen.

Der kreative Prozess wird zur Gruppenerfahrung

Besser als an diesem Nachmittag im Neubau des Ebert-Gymnasium an der Wilhelmsaue könnte es nicht laufen. Weil hier pädagogisch genau das passiert, wozu das seit 15 Jahren im Rahmen des Maerzmusik-Festivals organisierte „Querklang“-Projekt junge Leute anregen will: Freiheit für sich einfordern und sie dann auch auszuhalten. „Experimentelles Komponieren in der Schule“ lautet der erklärende Untertitel der Initiative von Ursula Brandstätter, Daniel Ott und Kerstin Wiehe, bei der jeweils fünf möglichst unterschiedliche Grund- und Oberschulen aus fünf Berliner Bezirken mitmachen können. Im Idealfall kommt sogar viel mehr dabei heraus als „nur“ eine Komposition.

Wenn nämlich der kreative Prozess zur Gruppenerfahrung wird, die die Heranwachsenden in ihrer Entwicklung weiterbringt. Viel wird darüber lamentiert, dass in Berlin der Musikunterricht so oft ausfällt – in Grundschulen sogar bis zu 80 Prozent, sagt der Deutsche Musikrat. Wenn allerdings die Stunden stattfinden, erzwingt der Rahmenlehrplan die Vermittlung von weitgehend trockenem Theoriewissen.

Die Kontrahenten: Genoel von Lilienstern (links), Elisabeth und Luca
Die Kontrahenten: Genoel von Lilienstern (links), Elisabeth und Luca

© Kerstin Wiehe

Ob es heute wirklich noch zur Allgemeinbildung gehört, dass Gymnasiasten den Quintenzirkel auswendig kennen, Akkordumkehrungen beherrschen und sich sicher durch Violin- und Bassschlüssel bewegen, ist diskutabel. Wer ein Instrument spielt, lernt das sowieso nebenbei, wer keines spielt, fühlt sich eher abgeschreckt, wenn er neben den Fremdsprachen noch eine komplette neue Grammatik lernen soll. Dabei besteht der große Vorteil von Musik doch darin, dass man auch ohne Notenkenntnis begeistert im Chor oder mit Freunden am Lagerfeuer zur Gitarre singen kann.

Ja, jeder, der sich traut, kann sogar komponieren. Diese beglückende Erfahrung will „Querklang“ vermitteln. Alles ist dabei erlaubt, denn mit allem lassen sich Klänge erzeugen, vom Eierschneider über Fahrradklingeln bis hin zu Luftballons. Es geht auch ganz ohne Hilfsmittel, einfach mit den Stimmbändern, durch Gurgeln, Krächzen, Pfeifen oder Imitation von Tierlauten und Alltagsgeräuschen.

Luca, Elisabeth, Halide, Mara, Jannika, Joaquin, Hannah, Laila, Franka, Sina, Laura, Madleen, Alice, Sungtae, Paul, Greta, Leonie, Rasmus, Valentina, Lili, Oranus, Vincent, Loan und Alissa vom Ebert-Gymnasium haben sich für ihre „Querklang“- Komposition ein ganz konventionelles Instrumentarium ausgesucht. Weil die Ausstattung ihres Musikraums in dieser Richtung jede Menge zu bieten hat. Der Titel des Stücks, „Missing Synthesizer“, führt dabei bewusst auf eine falsche Fährte. Denn elektronische Sounds kommen durchaus darin vor, kombiniert mit analog erzeugten Tönen, von der Trommel übers Tamburin bis hin zu Marimbaphon-Stäben, die mit Geigenbögen angestrichen werden.

Gruppenarbeit
Gruppenarbeit

© Kerstin Wiehe

Zehn Doppelstunden haben die Teilnehmer, um ihre Komposition zu entwickeln, neben ihrem Lehrer Thomas Vömel und dem Komponisten Genoel von Lilienstern stehen ihnen auch zwei Studierende von der UdK zur Seite. Offiziell nur beratend, denn ihre Fantasie sollen die Schülerinnen und Schüler ja selber aufblühen lassen, nach der ersten „Impuls-Phase“ durch die Erwachsenen.

Wobei nicht jeder in dieselbe Richtung strebt, wie sich in der Diskussion über das bereits Erreichte zeigt. Eine der jungen Frauen wünscht sich einen „harmonischeren Schluss“, ein männlicher Jugendlicher dagegen plädiert für mehr Kontraste, eine weitere Schülerin regt an, über den Klängen des Beginns einen erklärenden Text zu rezitieren.

Kein Neoklassik-Kitsch ist bei der Gruppenarbeit herausgekommen, nichts Epigonales in irgendeiner Stilrichtung, sondern ein wirklich eigenständiges Stück, das sich organisch entwickelt, immer wieder atmosphärisch dichte Momente hat. Sicher, dem Profi fällt sofort auf, wo man noch etwas verbessern, verfeinern könnte – doch so wie auch die Wilmersdorfer Gymnasiasten als Persönlichkeiten noch nicht voll ausgereift sind, ist es vielleicht sogar überzeugender, wenn auch ihr kollektives Opus Anteile des Unfertigen enthält.

Am heutigen Montag präsentiert die Böll-Oberschule aus Spandau ihre Ergebnisse im UdK-Probensaal in der Bundesallee. Am 26. 3. sind die Kreuzberger Rosa- Parks- und die Zehlendorfer Parzival- Schule im Radialsystem dran. Die Grundschule unterm Regenbogen aus Marzahn und das Ebert-Gymnasium treten am 27. 3. auf, wiederum im UdK-Probensaal. Weitere Infos unter www.querklang.eu.

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