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Drangsal kam 1993 als Max Gruber zur Welt. Er lebt in Berlin.

© Caroline

Musiker Drangsal: „Dem deutschen Pop fehlt Queerness“

Der Berliner Musiker Drangsal wurde vor zwei Jahren mit seinem Debütalbum "Harieschaim" bekannt. Freitag erscheint der Nachfolger "Zores". Ein Gespräch über schräge Reime, die Pfalz und Bisexualität.

Drangsal, Ihr neues Album trägt den Titel „Zores“. Was bedeutet das?

Der Begriff wird vor allem im Süden Deutschlands verstanden, ich kenne ihn aus der Pfalz. Er hat dreierlei Bedeutung: Man kann ein Zores sein, also ein jähzorniger Mensch. Man kann auch Zores haben, also Streit. Und dann ist damit auch noch eine Gruppe Asozialer gemeint, mit der man sich nicht abgeben sollte.

Wo sehen Sie sich da?
Ich habe überlegt, welches Bild andere von mir seit meinem Debütalbum bekommen haben. Und da fand ich, dass Zores einen ganz schönen Bogen schlägt. Das Wort kommt aus dem Jiddischen und war ursprünglich bedeutungsgleich mit Drangsal. Außerdem liest es sich gut, ist kurz und Z sowieso ein guter Buchstabe.

Auf dem Cover ist ein Mann zu sehen, der mit einem Gewehr zielt, daneben eine Frau und zwei Kinder. Eine verstörende Szenerie. Will er Zores oder wehrt er ihn ab?
Das ist ein Familienfoto, ein bisschen bearbeitet. Es ist auf einem Schießstand auf einer Kirmes entstanden. Ganz links bin ich, dann meine Schwester, meine Mutter und der Mann mit dem Gewehr ist mein Papa Uwe. Es gefällt mir, dass man nicht weiß, auf was geschossen wird. Meine Schwester schaut ja ein wenig verunsichert. Zores suchen oder abwehren – das ist nicht ganz klar.

Sie beziehen sich in den Texten immer noch stark auf ihre pfälzische Heimat. Wie kommt’s? Heimweh?
Ja, wobei Heimat leider so ein schlimmes Wort geworden ist im Deutschen. Aber wenn man mich fragt: Wo bisschen dahäm? Dann in Herxheim. Es müssen noch ein paar Jahre ins Land ziehen, bis ich länger woanders gelebt habe als dort. Dieser Rückbezug ist für mich ganz normal. Ein Teil meines Denkens findet noch immer dort statt. Es ist eben meins, das finde ich schön und ich benutze es gern.

Sie leben seit einigen Jahren in Berlin, doch das hinterlässt bisher noch kaum Spuren in Ihrer Musik. Ist die Stadt nicht inspirierend für Sie?
Nicht so direkt. Sie ist mehr ein Mittel zum Zweck. Es hat mich ja eher hierher verschlagen. Mittlerweile wohnen auch fast alle meine alten Freunde aus Herxheim hier, weshalb ich mich gar nicht so richtig in Berlin fühle. Ich bin aber total gerne hier und es gefällt mir, dass die Stadt immer noch ein Auffangbecken für alle Sehnsüchtigen und Missverstandenen ist.

Anders als auf dem Debüt singen Sie hauptsächlich auf Deutsch. Wie kam das?
Ich bin früher davon ausgegangen, dass die internationale Amtssprache des Pop eben Englisch ist, ein Großteil der Popmusik kommt schließlich aus englischsprachigen Ländern. Deshalb sollte Drangsal trotz des deutschen Namens immer Englisch sein, auch wenn ich hie und da schon mal deutsch getextet habe. Mein Produzent Markus Ganter hat mich dann quasi gezwungen den Song „Will ich nur dich“ auf die erste Platte zu nehmen. Er meinte: Wenn du später mal Deutsch singen willst, überrascht das niemanden mehr. Damit hat er mir die Tür aufgetreten.

Wie war es, durch diese Tür zu gehen?
Ich wollte einen eigenen Duktus entwickeln, herausfinden, ob ich interessante Wendungen finden kann. Dinge anders sagen als sie schon hundert Mal gesagt wurden. Ich habe versucht, meinen Platz zu finden in dem riesigen Spektrum, das von den Diskurspop-Archetypen Distelmeyer und von Lowtzow über Blixa Bargeld bis hin zu Klaus Lage reicht, an dessen Texten ich die lebensnahe Einfachheit bewundere. Allerdings war ich anfangs echt gehemmt, gerade wenn es darum ging, mal richtig schwülstig zu sein oder ein bisschen über die Stränge zu schlagen.

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Reime wie „An die Decke meines Schädels schlägt ein Spalier junger Mädels“ sind schon ein wenig schräg.
Ich finde die Zeile spitze. Vor allem weil da so viel Klang drin steckt. Dem gegenüber steht ja dann „Gegen die Wände meines Herzens halten hundert junge Jungs heiße Kerzen“. Viel H und Z. Ich mag einfach das Spiel mit der Sprache.

Auch Ihr Sound hat sich gegenüber dem Debütalbum verändert. Sie haben sich von der Eighties-New-Wave-Ästhetik entfernt. Wie kam das?
Das war ein ganz natürlicher Prozess. Wobei wir im Studio schon ein paar Vorgaben hatten: Die Stimme soll mehr in den Vordergrund, die Songs müssen sich selber tragen, es darf nicht mehr so viel auf Sounds ankommen wie auf dem Vorgängeralbum. Ich habe diesmal viele Neunziger-Bands wie die Smashing Pumpkins, Placebo, Pixies und Shellac gehört. Die hatten einfach gute Songs, haben Mikros aufgestellt und sie aufgenommen.

Manchmal klingen Sie jetzt ein bisschen wie Blumfeld oder die jungen Ärzte.
Den Farin-Urlaub-Vergleich habe ich schon häufig gehört und ich nehme ihn als Kompliment. Dass „Turmbau zu Babel“ so viele Leute an Die Ärzte erinnert, hat mich aber überrascht, weil ich deren frühe Sachen aufgrund meines Alters gar nicht kannte. Ich habe die Band eher mit Stücken wie „Junge“ oder „Männer sind Schweine“ verbunden. Ich finde Die Ärzte wichtig und witzig. Allerdings ist mir der Humor manchmal zu stumpf.

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Sie haben sich vor zwei Jahren mit Bands wie Isolation Berlin und AnnenMayKantereit angelegt, deren Musik als Stubenhocker-Rock bezeichnet. Finden Sie die deutsche Pop-Landschaft immer noch so langweilig?
Ich habe damals zu viel über Dinge geredet, die ich schlecht fand, statt über solche, die mir wichtig sind. Die neue Platte von Isolation Berlin finde ich zum Beispiel gut, vor allem textlich hat sie mich ziemlich umgehauen. Auch das neue Album der Nerven ist der Hammer. Was ich ein bisschen vermisse sind Frauen. Immerhin gibt es Gurr, die Heiterkeit oder Ilgen-Nur, aber insgesamt ist es zu wenig divers. Mir als jungem bisexuellen Mann fehlt zudem Queerness im deutschen Pop.

Die können Sie ja selber einbringen. Der von Ihnen bewunderte Marylin Manson hat auch immer damit gespielt.
Der Mann hat leider überhaupt nichts Queeres. Ich habe kürzlich seine Autobiografie gelesen und musste in der Mitte abbrechen, weil es unerträglich war. Er ist total frauen- und schwulenfeindlich. Es geht die ganze Zeit nur darum, wie viele Frauen er „weggemacht“ hat, wie viel Koks er genommen hat. Dass er Lippenstift trägt, reicht leider nicht. Auch Morrissey ist mir zu wenig. Er schreibt zwar in seinem Buch, dass er Männer und Frauen geliebt hat, aber wenn er darauf angesprochen wird, blockt er ab.

Sie selbst gehen jetzt offener mit Ihrer Bisexualität um.
Das Wort bisexuell mag ich eigentlich nicht so, „human sexual“ gefällt mir besser. Ich finde einfach Menschen gut, unabhängig davon, was sie zwischen den Beinen haben. Aber ja, ich würde das gerne mehr repräsentieren. Beim ersten Album habe ich auf die Frage, ob ich schwul bin, immer gesagt: Das geht dich nichts an. Aber inzwischen ist es mir zuwider, es nicht zu thematisieren. In dem Song „Und du“ geht es ja auch genau darum.

Die Metaphern darin beziehen sich sowohl auf Mädchen als auch und Jungen.
Als ich 13 war und einen Jungen süß fand, dachte ich noch: Das vergessen wir jetzt besser mal. Später war ich überzeugt, ich müsste mich entscheiden. Aber in den letzten drei Jahren bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass ich das eben nicht muss. Heute wachsen schon viele mit genau diesem Bewusstsein auf. Die Kids in der Generation nach mir wissen, dass sie sich für nichts mehr zu schämen brauchen. Der Paradigmenwechsel hat schon stattgefunden. Das ist großartig.

„Zores“ erscheint am 27.4. bei Caroline.

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