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Magdalena Kozena, Simon Rattle und das London Symphony Orchestra in der Philharmonie

© Adam Janisch/Musikfest Berlin

Musikfest Berlin 2021: Simon Rattle mal wieder zu Gast in der Philharmonie

Beim Musikfest kehrt der frühere Philharmoniker-Chef an seine Berliner Wirkungsstätte zurück - zusammen mit Magdalena Kozena und dem London Symphony Orchestra.

Magdalena Kožená wirkt, als wolle sie mit den Armen imaginäre Wellen durchpflügen. Der Mund der Sängerin öffnet und schließt sich, nur dringt kein Laut heraus. Aber, schließlich doch, Geräusche, Fragmente von Sprache, Silbenfetzen. Und auch vom London Symphony Orchestra kommen jetzt immer mehr Klangeinwürfe, kurz gestrichen, angespielt. Das Musikfest-Publikum in der endlich wieder normal besetzten Philharmonie – Schluss mit Schachbrett! – wird Zeuge einer Suche.

„Where are you?“ heißt der elfteilige Liedzyklus von Koženás tschechischem Landsmann Ondrej Adámek, komponiert auf Zitate aus dem Buch der Richter im Alten Testament. Ein Mensch will das Göttliche einfangen, ihm eine Falle stellen – und wo wäre Gott eher zu finden als im Atem? Das, was in der Covid-Krise plötzlich zum Problem wurde, was doch das Lebendigste an uns ist und auch jetzt während der ganzen Aufführung durch eine schmerzende FFP2-Maske im Zaum gehalten werden muss, die Luft, die wie ein- und ausatmen: Sie wird an diesem Abend rehabilitiert.

Im dritten Lied schält sich erstmals so etwas wie eine Melodie, ein Thema heraus, schimmert Magdalena Koženás schöner Mezzosopran durch das Klanggestrüpp, das Adámek aufspinnt. Er ist ein Mann vieler Religionen, hat als Jude christliche Mystik, Buddhismus und Sufismus erforscht. Eine Offenheit, die sich auch im Sprachenkaleidoskop dieser bereits diesen März noch ohne Publikum uraufgeführten Komposition reflektiert: Tschechisch, Englisch, Spanisch, Aramäisch, Sanskrit.

Rattle zelebriert Beethovens "Pastorale"

Es gelingt Ondrej Adámek, eine Atmosphäre des Tastens, des Stocherns im Nebel, des Halbzweifels zu evozieren. Wer jemanden sucht, glaubt der nicht bereits daran, dass er existiert? Magdalena Kožená singt das aus einer geerdeten Stille heraus, ein bisschen gezügelt. Gerne wüsste man, was eine radikalexpressive Sängerin wie Barbara Hannigan aus dem Stück machen würde.

Natürlich passt als Kontrast ein glaubensfester Komponist wie Bruckner jetzt besser, doch würde eine Symphonie von ihm wohl den Abend sprengen. Koženás Gatte Simon Rattle, mit viel Applaus empfangen, hat stattdessen Beethovens Pastorale auf dem Pult liegen. In gemäßigtem Tempo zelebriert er die F-Dur-Herrlichkeit, widmet sich auch körperlich jeder Molltrübung mit allergrößter Hingabe. Famos das ornithologische Duett von Flöte und Oboe im zweiten Satz, die Bassgruppe im Gewitter des dritten. Rattle dirigiert, als würden ihm die Blitze persönlich in den Körper fahren.

Im heiteren Landleben, im Bach, im Sturm rundet sich der Abend zur Einheit. Denn die Natur weiß von sich nichts, sie ist einfach da. „Natur“ ist ein Produkt menschlicher Vorstellungskraft. So wie das Göttliche.

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