
© Hugo Glendenning
Mystische Beglückung im Boulez Saal: Die Tallis Scholars singen Musik von Palestrina
Seit 1973 widmet sich Peter Philips mit dem Ensemble The Tallis Scholars der Musik der Renaissance. Das Resultat so tiefer Sachkenntnis war am Freitag im Boulez Saal zu hören.
Stand:
Der Boulez Saal ist eine architektonische Wunderkammer, er hört nie auf, einen zu überraschen. Normalerweise ist hier die frontale Gegenübersetzung von Publikum und Ausübenden aufgehoben, alles fließt ineinander, die Künstler wechseln nach der Pause häufig die Position, so dass jeder mal in den Genuss kommt, die Musik von vorne zu hören.
In einem ganzen Block wurden die Sitze entfernt
Bei diesem Auftaktkonzert des Minifestivals der Tallis Scholars zum 500. Geburtstag von Palestrina ist jedoch wieder alles anders: Ein ganzer Block an Sitzen wurde entfernt, so dass sich doch wieder die traditionelle Frontstellung ergibt. Bei so delikater Vokalmusik ist das auch durchaus sinnvoll. Da bringt es wirklich gar nichts, eine Stunde lang nur den Rücken der Sängerin oder des Sängers zu sehen.
Giovanni Pierluigi da Palestrina also: Angeblich 1525 geboren, in jenem Ort bei Rom, nach dem er bald nur noch genannt wurde. Er hat in einer musikgeschichtlichen Umbruchzeit gelebt und komponiert, als die lineare Polyphonie in ihrer Bedeutung mehr und mehr durch die vertikale Harmonik abgelöst wurde – ein einzigartiger Schritt, der die abendländische Kunstmusik bis heute von anderen musikalischen Weltregionen unterscheidet.
Die Renaissance auf der Agenda
1973 hat Peter Philips die Tallis Scholars gegründet, seit über 50 Jahren tritt das Ensemble in Kirchen und Konzertsälen auf und setzt die Musik der Renaissance auf die Agenda. Am Freitag erklingen eine der 104 Messen, die gesichert von Palestrina stammen, nämlich „Ut re mi fa sol la“ von 1570 sowie mehrere Motetten. Jeder der drei Abende kontrastiert Palestrina mit einem anderen Komponisten der Epoche, jetzt ist es Orlando di Lasso.
Die unfassbare Klarheit und Plastizität, mit der die Stimmen der mal sechs, mal acht Sängerinnen und Sänger dem Hörer gleichsam wie Individuen entgegentreten, ist überwältigend: ein komplexes und doch ganz nachvollziehbar verflochtenes Gewebe, gefärbter Atem, der direkt vom Ohr ins Herz strömt, dazu zart nuancierte Dynamik und verlässliche Punktlandungen im Unisono. Eine restlose Hingabe an Kunst und Glauben, die das Publikum mitzieht in eine nahezu mystische Beglückung.
In seinen Motetten, darunter „Media vita“ und „Timor et tremor“ wirkt Orlando di Lasso experimenteller in seiner Formensprache als der mehr die reine Schönheit anstrebende Palestrina. Kein Wunder, hat di Lasso doch sehr viel mehr gesehen von der Welt und ihren verschiedenen musikalischen Stilen. Er leitete nicht nur die Münchner Hofkapelle, sondern reiste auch nach Frankreich und England, während Palestrina stets im Bannkreis von Rom verblieb. Was seinem Werk aber auch eine einzigartige Ruhe, Klarheit und Glaubensgewissheit verleiht, wie sie etwa das abschließende „Magnificat primi toni à 8“ in jeder Note ausstrahlt.
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