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Ein Grab im Herbst.

© dpa/DIB Deutsches Institut für Bestattungskultur GmbH

„Nach Amerika und zurück im Sarg“ von Susan Taubes: Ihr Leben beginnt erst so richtig nach ihrem Tod

Susan Taubes lädt in ihrem Roman „Nach Amerika und zurück im Sarg“ zu einem aberwitzigen literarischen Trip ein.

Sophie weiß nicht recht, was sie will. So viele Optionen, jetzt, wo sie tot ist: Sie könnte reisen, ein Buch schreiben, ihre Liebhaber treffen oder sich endlich offiziell von ihrem Mann Ezra scheiden lassen. Alles steht ihr offen nach dem Unfall auf der Avenue George V, wo sie achtlos die Straße wegen eines Taxis quert und prompt überfahren wird. Was Sophie im regennassen Paris den Kopf kostet.

Kein Wunder, wenn ihre Geschichte anschließend so chaotisch verläuft, wie sie das Buch „Nach Amerika und zurück im Sarg“ erzählt: Geist und Körper als voneinander getrennte Sphären zu betrachten, das tat der Protagonistin schon im Leben nicht gut. Blind heißt Sophie mit Nachnamen, und den hat Susan Taubes ihrer Romanfigur aus gutem Grund mitgegeben. Richtig sehen, aus allen Perspektiven und sogar bis in die Untiefen der eigenen Seele, kann Sophie erst als Leiche.

Ihre komplett von jeder Körperlichkeit wie Chronologie befreite Rückschau ist der Auftakt eines aberwitzigen literarischen Trips. Traumszenen wechseln mit realistischen Momenten, verdichten sich im dritten Kapitel zu einer eindringlichen Kindheitsgeschichte in Budapest. Auf sentimentale Liebesszenen folgen obszöne Beschimpfungen, die in einem Prozess zwischen orthodoxen Rabbinern und ihrem Ehemann gipfeln – Blind selbst vertritt ihre Ehre aus dem Sarg heraus. Die Geschichte führt von Paris nach New York, in die Betten diverser Hotelzimmer wie in die Psycho-Praxis des Vaters, der Sophie nach beider Emigration in die USA zum Vernunftswesen erzieht: „Wir sind anders“, sagt er, „wir mögen kein dummes Geschwätz, affektiertes Getue, keine Überspanntheit und übertriebene Gefühlsäußerungen. Wir sind Denker.“

Zum Glück für Sophie, die sich mitten in den anachronistischen fünfziger Jahren emanzipieren darf. Und die doch gegen den Willen ihres Vaters heiratet: Ezra, einen Rabbiner mit strenggläubiger Familie, die das Gegenteil einer modernen Frau aus ihr machen will.

Sophie zerreibt sich zwischen den Fronten. Ihr Intellekt rebelliert gegen die gesellschaftlichen Erwartungen. Gleichzeitig möchte sie sich aufgehoben fühlen. Sie bekommt drei Kinder und hat Affären. Irgendwann beschließt sie, aus der familiären Routine auszusteigen – mit einer Wohnung in Paris für sich und den Nachwuchs. Ezra wird zum Gast in ihrem Leben. Was liegt da näher, als sich komplett zu trennen? Dann verunglückt Sophie, zur heimlichen Freude von Ezra. Eine Scheidung wäre das größere Unglück für ihn gewesen. Im Sarg ist sie endlich die stille, fügsame Gattin, die er immer haben wollte. Denkt er. Tatsächlich legt die tote Sophie nun richtig los.

Taube war viel auf Reisen

„Divorcing“, Scheidung, hieß Taubes Buch, das 1969 erstmals erschien. Zwei Jahre nach ihrer eigenen Trennung von Jacob Taubes, einem jüdischen Religionswissenschaftler. Zu den Parallelen zwischen dem Leben der Schriftstellerin und ihrer literarischen Figur gehört allerdings mehr. Beide stammen aus Budapest, beide fliehen sie mit dem ungarisch-jüdischen Vater nach Amerika, der dort als Psychoanalytiker wirkt. Auch Susan Taubes war mit ihrem Mann viel auf Reisen. Und wenn sie Ezra im Roman als dominanten Partner darstellt, der von den Liebhaberinnen schwärmt, „die darum bettelten, dass man sie zertrample“, während er seine Frau aus rein zweckmäßigen Gründen ohne jeden Lustgewinn prügle, greift Taubes wohl auf eigene Erfahrungen zurück.

[Susan Taubes: Nach Amerika und zurück im Sarg. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Nadine Miller Matthes & Seitz, Berlin 2021 372 Seiten, 22 €.]

Dennoch lässt sich „Nach Amerika und zurück im Sarg“, wie das Buch in der deutschen Übersetzung nach Taubes ursprünglichen Wünschen heißt, nicht einfach autobiografisch lesen. Vielmehr ermöglicht dieser schillernde Roman die Wiederentdeckung einer Autorin und promovierten Philosophin, die heute als Literatin ähnlich glänzen könnte wie Susan Sontag, in deren Kreis sie sich damals bewegte. Doch der „Kurzschluss zwischen Roman und Leben“, den der Kritiker Hugh Kenner Ende der sechziger Jahre in der „New York Times Book Review“ zu erkennen glaubte, sein vernichtendes Urteil über diese Form der „lady novelist“, machten es dem Roman unnötig schwer.

Ihr Nachlass wird in Berlin erforscht

So steht es im Vorwort zur aktuellen Übersetzung. Der Berliner Matthes & Seitz Verlag blickt darin auch auf die eigene Erstveröffentlichung von Taubes 1995 zurück. Damals sei sie völlig unbekannt gewesen, schreibt Sigrid Weigel. „Um sie dem deutschsprachigen Publikum nahezubringen, wurde sie damals als erste Frau des jüdischen Religionswissenschaftlers Jacob Taubes vorgestellt“, heißt es nun selbstkritisch. Und natürlich orientierte sich das Buch am originalen Titel und hieß „Scheiden tut weh“. Das klang nach Kitschroman und Abrechnung mit dem renommierten Wissenschaftler Taubes.

Inzwischen ist viel passiert. Susan Taubes Nachlass liegt im Berliner Leibnitz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung, hier wird er von Weigel und Christina Pareigis erforscht. 2011 kam der erste Band einer Edition mit Briefen des Ehepaars heraus. Da studierte sie in New York Philosophie und er nahm ein Stipendium in Jerusalem wahr. 2014 erschien der zweite Teil. Vergangenes Jahr verfasste Pareigis eine „Intellektuelle Biografie“ über Susan Taubes und arbeitete deren zentrale literarische Themen heraus: den Holocaust, die Rastlosigkeit einer Heimatlosen und andere existenzielle Fragen des 20. Jahrhunderts.

„Rette mich aus dem Albtraum, den Männer Religion nennen“, schrieb sie an Jacob Taubes, als sich beide noch einander verbunden fühlten. Doch das genügte nicht, die Befreiung schlug fehl. Susan Taubes nahm sich 1969, zwei Wochen nach Erscheinen von „Divorcing“, mit 41 Jahren das Leben.

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