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Die Schauspielerin Susanne Lothar wurde nur 51 Jahre alt.

© dpa

Nachruf: Susanne Lothar, die Kämpferin

Die Schauspielerin Susanne Lothar ist gestorben. Sie gab stets ihr Äußerstes, spielte die Tapferen, die Verzweifelten, die Verlorenen, die Zähen. Die Frau des 2007 gestorbenen Darstellers Ulrich Mühe wurde nur 51 Jahre alt. Ein Nachruf.

Sie war so verletzlich. So hager und knochig, dass man sie leicht unterschätzte, ihre Entschiedenheit, ihre Tapferkeit, ihren Mut. Die Schauspielerin Susanne Lothar ist tot, gestorben im Alter von 51 Jahren, wie der Anwalt der Familie, Christian Schertz, am Mittwochabend mitteilte. Über die Umstände ihres Todes steht nichts in der dürren Meldung, die einen gleich doppelt erschreckt.

Da sind ihre Leinwand- und Bühnenauftritte, all die energischen und labilen Frauen, die es in der Ehehölle oder dem Inferno der Gewalt aushalten, die selber Familienmonster sind, gestrenge Übermutter oder duldende, lebenszähe Gattin. Die brutal schikanierte Ehefrau in „Funny Games“. Die gedemütigte Geliebte in Hanekes „Das weiße Band“. Der kurze Auftritt als Mutter von Gudrun Ensslin in „Wer wenn nicht wir“, der einen schaudern macht. Ihr Part im Mutter-Tochter-Drama „Staub auf unserem Herzen“, das auf dem Münchner Filmfest Preise gewann. Da sind auch komische Auftritte, in der Klamotte „Fleisch ist mein Gemüse“, aber vor allem ist da das Wagnis, Unsympathinnen zu spielen, Verlorene und Verhärmte. Selten als Hauptfigur, aber immer in Nebenrollen, die den Protagonisten an Strahlkraft nicht nachstanden. In letzter Zeit war sie oft die Mutter, auch in „Der Vorleser“ von Stephen Daldry.
Da ist, früh schon und überragend, ihre legendäre „Lulu“ in Peter Zadeks Hamburger Inszenierung von Wedekinds „Monstretragödie“ 1988, in der sie nackt auftritt und sich einen wundersam radikalen Theaterabend lang aus der Schutzhülle des Kostüms herauswagte. Später tat sie es wieder, in Sarah Kanes „Gesäubert“, ebenfalls von Zadek eingerichtet, ein Kraftakt, ein einziger Schrei. Da ist ihr Gesicht, ihr Blick, von dem es in dieser Zeitung einmal hieß, Weltaufgänge und -untergänge fänden darin Platz, manchmal beides zugleich. Da ist ihre leise, scharfe Stimme, die Resolutheit, die den Abgrund verrät, den sie zu übertönen sucht.
Wer an Susanne Lothar denkt, denkt aber nicht nur an die Extremschauspielerin, an ihre dünne Gestalt und die Rollen bei Peter Zadek oder Luc Bondy, die in der Verzweiflung gestählten, niemals zerbrechenden Figuren bei Haneke oder genauso im „Polizeiruf“. Man denkt sofort auch an sie und Ulrich Mühe, ihren Mann und langjährigen Partner auf der Leinwand wie im Leben, der an Krebs starb, nachdem sein letzter großer Film, „Das Leben der Anderen“, den Oscar gewann. Mühe und Lothar lernten sich 1990 kennen, die Familie lebte lange in Berlin, gemeinsam spielten sie vor der Kamera die Einsamkeit in der Zweisamkeit, den Krieg in nächster Nähe, die Tyrannei der Intimität. Zwei Seelenforscher, die ihr Äußerstes gaben, vor allem in „Funny Games“ 1997 und zuletzt im Trennungs-Kammerspiel „Nemesis“, das erst 2011 in die Kinos kam.

Ulrich Mühe ist 2007 gestorben, am 22. Juli. Vergangenen Sonntag war sein fünfter Todestag. Susanne Lothar hatte ihm zur Seite gestanden, als es vor Beginn seiner Krankheit einen bitteren Streit um ihn, die Stasi und Mühes zweite Ehefrau Jenny Gröllmann gab. Sie beschützte die Familie, ihre zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter, vor voyeuristischen Blicken auf den Kranken, den Tod, die Trauer. Sie stürzte sich bald in Arbeit, sagte, dass nach dem Tod nichts mehr selbstverständlich ist, dass sie jetzt ein anderes Leben bewältigen muss, Mama und Papa in einem ist. Und dass man in der Trauer immer allein ist. Das ist es, weshalb man doppelt erschrickt über ihren Tod, so exakt fünf Jahre nach dem ihres Mannes. Ulrich Wildgruber, ihr Bühnenpartner in „Lulu“, ist auch schon lange nicht mehr da, er nahm sich 1999 das Leben. Auch Frank Giering, einer der beiden Bösewichte in „Funny Games“, starb 2010, mit 38 Jahren, die Todesursache ist ungeklärt. Es fasst einen an.

Schauspieler sind Gefährdete, sie schauen dem Leben ins Auge, vielleicht sind sie dem Tod deshalb näher. Die Grenze zum Jenseits scheint durchlässiger zu sein als für normale Leute.

Susanne Lothar, sagte ihr Kollege Ulrich Tukur nun im Deutschlandradio, hatte eine „dunkle Energie“ in sich. „Es war immer sehr viel Verzweiflung in dem, was sie gemacht hat.“ Er sehe so viele, „wie sie auf der Bühne verglühen und großartig sind – und im Leben nicht mehr zurande kommen“. Eben das sei es, was sie auf der Bühne so großartig macht.

1960 in Hamburg geboren, als Tochter der Schauspieler Ingrid Andree und des ebenfalls früh gestorbenen Hanns Lothar, soll sich Susanne Lothar für den Beruf ihrer Eltern entschieden haben, als sie die Mutter in Ibsens „Nora“ sah. Da war sie 17.Sie hat gekämpft, vielleicht immer. Manchmal merkte man ihr das an; ihre Anstrengung war aber auch ihre Stärke. Im Tagesspiegel-Gespräch verteidigte sie 2008 die Freiheit, in der sie aufwuchs, das Leben ohne Angst, das Ulrich Mühe von der DRR nicht kannte. Wir haben um die Freigabe des Interviews gerungen, um einzelne Sätze, um Wörter. Sie waren es wert. Sie erzählte, wie sie zeitlebens immer ihre eigene Angst überwunden hat, wie sie einmal beim Tauchlehrgang in 30 Meter Tiefe das Mundstück herausnahm. Sie wollte es wissen, wollte die Welt von unten sehen. Sie sprach begeistert davon, wie es ist, Grenzen zu überspringen.

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