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Der Wahnsinn bricht aus: „Nachtland“ an der Schaubühne am Lehniner Platz

© Gianmarco Bresadola / Gianmarco Bresadola/Schaubühne

„Nachtland“-Uraufführung an der Schaubühne: Die Bombe auf dem Dachboden

Marius von Mayenburg hat ein neues Stück geschrieben und selbst inszeniert. Die Komödie dreht sich um antisemitische Klischees in aufgeklärten Kreisen.

Ein Klassiker im Geschwisterstreit: Wer war für den kranken Vater da, wer opferte mehr Zeit? Nun sitzen sie, Bruder und Schwester und Ehepartner, in der Wohnung des Verstorbenen, erregt und zugleich deprimiert. Der Haushalt wird aufgelöst, eine bittere Pflicht, weil auch viel Eigenes mit in die Tonne wandert. Und manch ein Objekt Rätsel aufgibt.

Zu erben gibt es nichts, bis ein auf den ersten Blick wertloses Aquarell auftaucht. Darauf ist eine Kirche dargestellt, mit Vorplatz, menschenleer und irgendwie idyllisch. Das Bild ist signiert mit „A. Hiller“. Oder steht da ein „t“? A. Hitler? Und plötzlich riecht es nach Geld. Soll man? Darf man? Woher stammt das Frühwerk des Führers? Es gab doch keine Nazis in der Familie?

Ist das Bild von Hitler?

Judith, die Schwiegertochter des Verblichenen, ist jüdischer Herkunft. Angeblich wurde darüber nie gesprochen, doch jetzt ist es das Thema. Wie sie sich ernährt, wie die Hitler-Malerei, wenn sie denn echt ist, ihre Gefühle verletzt - und warum eigentlich? Marius von Mayenburg steigt in seinem neuen Stück „Nachtland“ rasant ein in die Komödie. Zwei, drei verunglückte Bemerkungen, und schon gehen sich die netten und noch recht jungen Menschen an die Gurgel. Wenn sie überhaupt je auf Eis standen, dann war es dünner, als sie dachten.

Auch das ist klassisches Lust- und Frustspiel: Kaum können die Nachkommen ihre Gier verbergen. Die Aussicht auf das rare Bare bringt das Schlechteste heraus aus diesen superzivilisierten Großstadtmenschen. Man könne ja auch einen Teil des Erlöses an eine jüdische Organisation spenden, schlägt Philipp seiner Judith vor. Schön zu beobachten, wie Moritz Gottwald sich nicht nur moralisch, sondern auch mimisch verbiegt. Seine lange, dürre Gestalt wechselt ständig vom Frage- und zum Ausrufezeichen. Und die zierliche Jenny König, seine Frau, steht kurz vor der Explosion.

Der halbrunde Globe-Spielraum ist mit braunem Flauschteppichboden ausgelegt, Nina Wetzel entwarf das Höhlenbühnenbild, über dem hoch oben ein Bergpanorama à la C. D. Friedrich prangt. Ein Ort der Träume, mit umherwandernden Schafen und Vogelflug, und nach und nach tauchen die Protagonisten in dieser verkitschten Bergwelt auf, im Wandereridyll (Video: Sébastien Dupouey). Dort ist die Luft dünn und klar, unten wird sie immer dicker.

Zu klug, zu schlagfertig

Aus der hohen Schule der Komödie holt Marius von Mayenburg, auch Regisseur dieser Uraufführung, seine Vorbilder. Er legt los wie einst Yasmina Reza in ihrem Superboulevard-Hit „Kunst“, der lange am Lehniner Platz lief, und spielt heftig an auf Helmut Dietls „Schtonk“, der Filmkomödie über den Skandal der gefälschten Hitler-Tagebücher. Leider treibt ihn auch ein pädagogischer Impetus. Er will zeigen, wie sehr unsere Gesellschaft noch von Klischees geprägt ist, wie schnell es zu antisemitischen Ausfällen kommt. Das ist ehrenwert, aber funktioniert so im Theater nicht.

Die Figuren sind zu klug, zu schlagfertig, als hätten sie ein Coaching im Antirassismus-Dialog absolviert. Bei Nicola, der Tochter, fällt das besonders auf. Genija Rykova findet jede rhetorische Tretmine im Raum oder legt sie gleich selbst. Judith, die lange zuhört, hält plötzlich geschliffene Vorträge über das Verhältnis von Deutschen zu ihrer Vergangenheit, die nicht vergeht. Fabian, Nicolas Mann, stützt sich auf die Mülltonne, um nach weiteren Schätzen zu suchen. Damir Avdic kommt nachher noch in anderer Rolle wieder, als potentieller Käufer des Hitlerbilds - da rast die Mayenburg-Geschichte immer schneller auf den Abgrund zu.

Es gibt noch ein unmoralisches Angebot obendrauf, schickes Dinner mit Sex, für einen Haufen Geld. Und Nicola und Philipp entdecken ihre Wagner’sche Geschwisterleidenschaft in einem langen Kuss. Längst ist das Timing dahin, und Thesenpapiere haben die Pointen der knapp zweistündigen Aufführung verdrängt. Daran ändert auch eine hysterisch herbeifantasierte Familiengeschichte nichts (Großmutter soll ein Verhältnis mit Martin Bormann gehabt haben, Hitlers wohl engstem Vertrauten).

Und dann kommt Eva

Die interessanteste Figur ist die Hitler-Expertin Evamaria. Na klar, Eva muss sie heißen. Und sie ist natürlich nicht braun, sondern ein blonder Vamp. Fies und elegant und etwas altmodisch im Aufzug, so zeigt Julia Schubert die böse Spielleiterin. Sie hält die Fäden in der Hand, so weit es geht. Erstarrt vor Ehrfurcht vor dem - unsichtbaren - Bild, unterdrückt orgiastische Gefühle, wenn sie von Provenienz und seinem „Pinselstrich“ raunt. Drängt auf den Geschäftsabschluss mit ihrer wahrscheinlich auch nur vorgetäuschten Kompetenz.

Durch „Nachtland“ laufen Figuren wie Wikipedia-Einträge mit Fußnoten. Wenn man noch höher einsteigen will: Erst Lubitsch, dann Brecht. Und am Ende fast Hochhuth.

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