zum Hauptinhalt
Der Autor Hanif Kureishi.

© efe/Marta Perez

Neuer Roman von Hanif Kureishi: Der Held, der ein Heuchler war

Hanif Kureishi schreibt mit "Das letzte Wort" einen Roman über die Nöte von Biografen und karikiert V. S. Naipaul. Leider bleiben die redseligen Figuren überwiegend blass.

Es ist gerade ein Jahr her, da verurteilte Hanif Kureishi Creative-Writing-Kurse in einem sarkastischen Rundumschlag als „neue Irrenanstalten“. Zugleich hielt er an der Kingston University südwestlich von London längst selber Schreibkurse ab – und zwar im Rang eines Professors. Seine Studenten, musste er zugeben, schrieben am Ende zwar besser, sie seien aber auch deutlich unglücklicher als zuvor. Was bedeutet es nun, wenn für den Journalisten Harry Johnson aus Hanif Kureishis siebtem Roman „Das letzte Wort“ die Aussicht, Kreatives Schreiben lehren zu müssen, ein Albtraum ist?

Er droht Harry einzuholen, sollte er es nicht schaffen, ein Buch über das Leben des 70-jährigen indischstämmigen Großschriftstellers Mamoon Azam zu vollenden. Hemmungen seien im Fall Azams unnötig, sagt der Verleger und weist noch einmal auf die menschlichen Schwächen des Frauen- und Cricketliebhabers Mamoon hin, „den der Bücherwurm Harry, ein verschrobener Satzgourmet, ein Kind, in dessen Augen Schriftsteller Göttern, Helden oder Rockstars glichen, schon während seiner Jugend bewundert hatte“.

Harry, der bereits eine Biografie über Nehru veröffentlicht hat, gewinnt zunächst sogar Mamoons Vertrauen. Doch als er auf dessen Landsitz in der Grafschaft Somerset Quartier bezieht, wird es schwierig. Denn obwohl die Biografie dem einstigen Starautor einen dringend benötigten Popularitätsschub bescheren würde, verweigert der jede Kooperation: „Harry verfluchte sich dafür, während seiner Lektüre nicht gemerkt zu haben, dass der Kern von Mamoons Wesen in der Demütigung bestand; sie hatte ihn geprägt, und sie stellte nach wie vor sein größtes Vergnügen dar. Die wiederholten Demütigungen durch seinen Vater hatten ihn zu Höchstleistungen angespornt und für eine latente Wut gesorgt, die während seines ganzen Lebens in ihm geschwelt hatte und die er auf ungute Art genoss.“

"Das letzte Wort", der neue Roman von Hanif Kureishi.
"Das letzte Wort", der neue Roman von Hanif Kureishi.

© promo

Ein durch und durch britischer Roman

Des Hausherrn zweite Frau, die Römerin Liana, betrachtet den angereisten Biografen als reinen Dienstleister beziehungsweise „Dekorateur“ für Mamoons Vita. Ihre Vorgängerin Peggy, die dem mittellosen jungen Mann vom indischen Subkontinent einst geholfen hatte, „einen Fuß in die Türen der Herrenrasse von Belgravia zu bekommen“, war an einer tödlichen Mischung aus Liebeskummer und Trunksucht zugrunde gegangen. Alkohol fließt auch während Harrys Recherchen reichlich. Außerdem macht sich der Porträtist – nicht weniger „Hengst in Hosen“ als der zu Porträtierende – die Tochter von Mamoons Putzfrau hörig.

Diese betrachtet Harrys Penis bald als ihr „Haustier“, wie in extenso zu erfahren ist. Währenddessen wartet in London seine schwangere, shoppingsüchtige Verlobte Alice, wie er eine Angehörige der Oberschicht. Diese Klassendistinktionen machen „Das letzte Wort“ zu einem durch und durch britischen Roman, voller politischer Spitzen, etwa über die Torys auf verbotener nächtlicher Fuchsjagd. Das Buch liest sich über weite Strecken wie eine Vorstufe zu Kureishis nächstem Drehbuch. Angesichts der ausufernden Dialoge dieser Prosa, deren böse Pointen Henning Ahrens geschickt ins Deutsche transportiert hat, wird es jedoch rasch langweilig. Die redseligen Figuren bleiben blass.

Die Mühen des Berufsliteratentums

Die britische Presse hat Hanif Kureishi nachgewiesen, in der Gestalt von Mamoon Azam den Literaturnobelpreisträger V. S. Naipaul zu karikieren – was er mit wenig Geschick abstritt, auch wenn „Das letzte Wort“ nicht als Schlüsselroman angelegt ist, sondern als Versuchsanordnung zwischen Porträtist und Porträtiertem. Kureishi scheint sich dabei besonders an die 2008 erschienene, von Naipaul autorisierte und im Privaten dennoch unerbittliche Biografie „The World Is What It Is“ von Patrick French angelehnt zu haben. French stellt den indischstämmigen, seit 1950 in Großbritannien lebenden Schriftsteller unter anderem als Heuchler und Bordellbesucher dar – wie es ihm überhaupt herzlich egal zu sein scheint, ob er sich Besuchern als arrogantes Ekel präsentiert. Kureishi geht es aber weniger um die Person Naipaul als um die Mühen des Berufsliteratentums: Großmeister Mamoon, von seiner Frau als „König im Kontor“ angebetet, wünscht schlicht keine Zeugen, wenn ihm tage- oder wochenlang nichts einfällt. Hanif Kureishi, Sohn eines pakistanischen Vaters und einer englischen Mutter, der 1985 mit dem Roman „Mein wunderbarer Waschsalon“ berühmt wurde, hat damit sicher auch eigene Erfahrungen. Am Schluss ist Harrys Familie zerstört, doch er sagt sich: „Der Wahnsinn des Schreibens war ein Gegenmittel gegen den echten Wahnsinn. Großbritannien wurde im Grunde nur wegen seiner Literatur bewundert; dieses kleine, niedliche, im Absaufen begriffene Eiland war ein Hort der Genies, dort wurden die besten Worte aufbewahrt, geschaffen und umgeschaffen.“ Harry hat zumindest einen Grund zur Zufriedenheit: Die Lebensbeschreibung ist vollendet.

Hanif Kureishi: Das letzte Wort. Roman. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. S. Fischer Verlag, Frankfurt a.M. 2015. 320 Seiten, 19,99 €.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false