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Der Berliner Schriftsteller und Künstler Thomas Kapielski, 68.

© Suhrkamp

Neuer Roman von Thomas Kapielski: Knirschen im Giebel

Thomas Kapielskis „Kotmörtel. Roman eines Schwadronörs “ beglückt durch barocken Sprachwitz und eine vertrackte Geschichte.

Der Spaß beginnt gleich mit dem Romantitel, „Kotmörtel“, und dann auch gleich auf der ersten Seite. Thomas Kapielski, der nächstes Jahr im September 70 Jahre alt wird, konstatiert seinen „Altersknirsch“, hört es in der Nacht im Schlaf oder schlaflos „knistern und knacksen“, ohne genau zu wissen, welche Stellen im Körper sich da nun genau rühren, und schlussfolgert: „Also knirscht es bei mir wohl eher oben im Giebel (wo mein Getriebe wohnt) und gezähmter (noch) im ganzen leibhaftigen Rest.“

Damit der Berliner Schriftsteller beim Lesen dieser Rezension nicht gleich wieder böse, gar hyperton wird, sei sofort angemerkt, dass sein Ich-Erzähler ein anderer ist als er selbst: ein gewisser Frowalt Hiffenmarkt. Genauer, mit weiteren Zunamen, wobei er den dritten wegen irrlichternden Irrläufereien gern verschweigt: Frowalt Heimwée Irrgang Hiffenmarkt.

Und der wohnt nicht in Berlin, sondern in Grollstadt-Sauger, mithin ein fiktiver Ort in Deutschland. Es ist übrigens der einzige fiktive in diesem Roman, in dem auch Schweinfurt, Salzgitter, Meppen oder Bamberg wichtige Rollen zukommen.

Also nicht bei Thomas Kapielski knistert und knackt es primär (obwohl: Wer weiß?), sondern bei Frowalt Hiffenmarkt, der die 70 schon erreicht hat und auch sonst zunächst nicht zu vergleichen ist mit seinem Schöpfer. Hiffenmarkt sitzt gerade im Gefängnis von Grollstadt-Sauger ein, warum, erfährt man später nach und nach.

Ein leidenschaftlicher Bahnhofsvorplatzredner

Er hat sein Brot lange Jahre als Vertreter für Rasierpinsel und Bürsten verdient, sein letzter Verkaufsrenner waren die „Bamberger Busenbürsten“. Er ist ein leidenschaftlicher Bahnhofsvorplatzredner, der umso lieber redet, je weniger Menschen zuhören; er lebt mit seiner Ehefrau zusammen, Dietlinde, mit der er zwei Söhne hat, Erwin und Friedemann, sowie eine Tochter Monika. Diese ist nicht die seine, also eine Stieftochter, bereitet aber mit ihren 42 Jahren Dietlinde und noch viel mehr ihm Probleme.

Und schließlich, das braucht so ein alter Mann bei solchen Vorlieben und dieser Familienkonstellation einfach, hat Hiffenmarkt noch ein Refugium in Meppen, sein „heiliges Mepper Refugium“, eine kleine Souterrain-Klause. Hier schreibt er an seinen „Kalamitäten“, die entweder in Kladden oder in Ordnern landen: „Hingeworfene, übermütige und vordergründig dämliche Zeilen schreibe ich auf gelochte A4-Blätter (kariert) und hefte sie im je aktuellen Jahrgangs-Ordner ab. Die mit Tiefsinn und hochwertigen Sentenzen gefüllten Kalamitäten-Kladden indes werden mit den Einzelblatt-Ordnern gemeinsam in geräumigen Schubern aufbewahrt, die dann einen kompletten Jahrgang umfassen.“

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Puh, nicht unkompliziert, nicht unkapriziös, eben kapielskihaft. Und schon irgendwie ein Roman. Der hat schließlich mit Bedacht den Untertitel „Roman eines Schwadronörs“ bekommen. So viel fiktiven Aufwand betreibt Kapielski tatsächlich selten. In seinem 2014 veröffentlichten Stammtisch-Roman „Je dickens, destojewski“ hatte er trotz aller Fiktionen eine Metaebene eingezogen, um auf dieser besser über das Schreiben im Allgemeinen und das von Romanen im Besonderen nachdenken zu können; über Texte, die existieren oder nicht. Oder die „eindeutig zu zäh, zu schrullig und zu unzeitgemäß“ sind.

Auch Kapielskis Lieblingsstadt Bamberg kommt vor

Dagegen muss man sich in „Kotmörtel“ anstrengen, um bekannte Insignien des Kapielski-Lebens zu finden. Von den „Gottesbeweisen“ spricht Hiffenmarkt mehrmals (so heißen zwei Kapielski-Bücher aus den neunziger Jahren), der einstige Neuköllner „Blaue Affe“ und ein Kreuzberger „Ambrosius“–Lokal finden Erwähnung.

Wie gesagt, auch Bamberg kommt vor, Thomas Kapielskis Lieblingsstadt. Hier hatte der Autor zuletzt ein Stipendium, hier war er früher oft und gern zu Gast, um sich Helle ins Gefräs oder den Giebel zu stellen.

Aber der Gefängnisaufenthalt seines Erzählers, die vertrackte Geschichte, die ihn dahin gebracht hat als Boten, der in der Bahn von Schweinfurt nach Grollstadt-Sauger zwei geheimnisvolle Päckchen transportiert, dazu ein freundlicher Mitreisender, der sich später als Kommissar, Verhörer und schließlich dankbarer Gesprächspartner entpuppt – all das hat gar Handlungscharakter.

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Dennoch, die Bezeichnung „Schwadronör“ für Hiffenmarkt steht natürlich nicht umsonst auf dem Buchumschlag. In diesem Roman wird auf Gott und Teufel komm raus abgeschweift und räsoniert. Hier stehen Kalauer und mancher anderer Quatsch neben philosophischen Ausflügen unter Bezugnahme auf Kant, Hölderlin, Goethe oder Freud.

Das Unzeitgemäße, Urtümliche wird gefeiert

Hier wird die Moderne, die digitale zumal, in Bausch und Bogen abgelehnt und das Urtümliche, das Unzeitgemäße, das Biedermeier gefeiert (Spitzwegs „Armer Poet“ hängt in Hiffenmarkts Klause in Meppen genauso wie irgendwann in seiner Zelle); hier steht ein Jean Paul Pate und ein bisschen ein Karl Valentin oder ein Martin Kippenberger. Und hier ist Thomas Kapielski letztendlich immer wieder ganz bei sich selbst mit seinem Frowalt Heimwée Irrgang Hiffenmarkt.

Natürlich hat „Kotmörtel“ hie und da Längen. Mancher Quatsch ist doch zu quatschig, mancher Dialog gerade im dritten, von den Gesprächen mit Röhr dominierten Teil ein wenig lahm. Aber die Sprachgewalt von Thomas Kapielski beeindruckt immer wieder, sein Sprachwitz, sein, ja: barockes Sprachvermögen sind extraordinär.

Wie weiß es Röhr: „Wenn da Sprache ist und ein guter Satz steht, ist es ein guter. Eine treffende Formulierung, sie mag noch so ungewöhnlich und ungebräuchlich sein. Sie trifft es eben. (...) ,Labsal‘ und ,Schlüpfer‘ sind schön.“

Es ist stets aufs Neue ein Vergnügen, diesen Schriftsteller zu lesen. Mag Hiffenmarkt im allerersten Satz seufzen und bescheiden-frustriert seine „werten, mir treu verbliebenen Leser“ ansprechen – diese Leser bleiben sehr treu. Sie wissen, was sie an Thomas Kapielski und seinen Büchern, seinem stetig wachsenden „Gesamtluftwerk“ haben.
Thomas Kapielski: Kotmörtel. Roman eines Schwadronörs. Edition Suhrkamp, Berlin 2020. 410 Seiten, 20 €.

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