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Die Schwestern Danielle, Este und Alana Haim (von links) machen seit ihrer Kindheit zusammen Musik.

© Lea Garn

Neues Album von Haim: Flotte Trennung auf kalifornisch

Das Schwestern-Trio Haim gießt auf seinem vierten Studioalbum „I Quit“ Verlust in erstaunlich aufbauende Popvignetten. In ihren Westcoast-Pop mischen sie etwas R’n’B – und sampeln George Michael.

Stand:

Früh machen Haim auf diesem Album deutlich, wohin die Reise geht. Im Opener „Gone“ schleudert Sängerin Danielle Haim es den Hörerinnen und Hörern regelrecht entgegen. „I’ll do whatever I want. I’ll see who I wanna see. I fuck off whenever I want. I’ll be whatever I need“, singt sie, während im Hintergrund ein Beat und ein Gospelchor den Ton setzen, die einem eigenartig bekannt vorkommen – es sind nämlich Bestandteile aus George Michaels Hit „Freedom! ‘90“.

Später wird in den Lyrics noch kurz „Born To Run“ zitiert, bevor die Gitarre ein Solo spielt, das man so eher in einer Rock-Doku aus den siebziger Jahren verorten würde.

Wobei das musikalische Grundgerüst von Danielle (Gitarre, Gesang) und ihren Schwestern Este (Bass) und Alana (Gitarre, Klavier) gleich geblieben ist. Sie schicken seit ihrem ersten Album, dem 2013 erschienenen „Days Are Gone“, eine sehr genau ausgearbeitete Musik in die Welt, die in puncto stilistische Verortung maximal geschmeidig ist.

Geografisch beziehen ihre Songs hingegen sehr wohl Stellung: Wie sonst nur Lana Del Rey klingen die Haim-Schwestern nach Kalifornien; sie tragen jene flockige Lässigkeit in sich, die den Pop aus dem Sonnenstaat seit mehr als 50 Jahren prägt: Spuren der Eagles sind zu hören, Fleetwood Mac und Joni Mitchell schwingen ebenfalls mit.

Aber auch die Vokalharmonien der Eighties-Stars Wilson Phillips, die Coolness von Sheryl Crow und der G-Funk von Hip-Hop-Ikone Snoop Dogg haben sich in das Klangbild von Haim eingeschrieben. Ihre Ästhetik passt gut dazu, pendelt irgendwo zwischen dem Seventies-Look des Laurel Canyon und der Gegenwart der selbstbewussten Valley Girls.

Dass ausgerechnet ein Sound aus „Freedom! ‘90“ im ersten Song ihres vierten Albums erklingt, ist nicht nur ein weiterer Baustein ihres musikalischen Eklektizismus. Es ist zugleich die inhaltliche Einleitung für ein Album, in dem Befreiungen, Trennungen und Neuanfänge thematisiert werden. Die großen Fragen sind dabei: Warum fühlt man, was man fühlt? Wieso führen wir überhaupt Beziehungen? Und was bleibt nach dem Bruch?

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Dazu muss man wissen, dass die wichtigste dieser Trennungen gewissermaßen an der Bandspitze stattfand: Danielle Haim trennte sich von Produzent Ariel Rechtshaid, der den Sound des Trios seit „Days Are Gone“ entscheidend mitprägte. Einmal läuft er auf diesem Album noch durchs Bild, er ist in den Liner Notes zur Vorabsingle „Relationships“ als Autor genannt: Die Band fing vor sieben Jahren an, an dem Stück zu arbeiten, damals waren die beiden noch ein Paar.

Ein kleiner Gruß aus der Vergangenheit, der trotz der dunklen Wolken, die durch den Text ziehen, musikalisch in ein entspannt-sommerliches Kleid gegossen wurde: Hier taucht wieder dieser schwer tanzbare, positive Pop auf, der Haim 2012 aus dem Stand mit der ersten Single „Forever“ zu Szene-Darlings machte.

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Ohnehin fällt auf: „I Quit“ mag ein Trennungsalbum sein. Verlust wird hier aber nie als Schicksal geschildert, sondern eher als notwendiger Schritt einer Entwicklung: „I learned from it“ – „ich habe daraus gelernt“ –, heißt es etwa in „Take Me Back“, einem fast schon unverschämt flotten Song, der auf einem Drumbeat läuft, den die Band bei Iggy Pops „Lust For Life“ ausgeborgt hat. Im abschließenden „Now It’s Time“ heißt es zu lässigen Gitarren und perlenden Klavierklängen: „The real barrier to break is the one I feel inside.“

Lässige Gitarren, perlendes Klavier

Den einzigen Song, bei dem man den Eindruck hat, dass es um Liebeskummer ohne Fußnoten, um Traurigkeit ohne „Ja, aber“ geht, lagert Danielle Haim an ihre große Schwester aus: In „Cry“ singt Este mit einer Stimme, die viel näher am R’n’B ist als die ihrer Schwester: „Seven stages of grief, and I don’t know which one I am on.“ Die Zeile spielt auf ein populärpsychologisches Modell an, das die emotionalen Phasen eines Trauerprozesses in sieben Stufen beschreibt – von Schock über Wut und Depression bis zur Akzeptanz.

Este Haims Unsicherheit darüber, aus welchem Stadium des Liebeskummers sie da gerade berichtet, bringt die Unordnung solcher Gefühle auf den Punkt: Trauer verläuft selten linear, auch deswegen passt es gut, dass ein paar Songs vorher, in „All Over Me“, noch recht unverblümt über Sex außerhalb von Beziehungen diskutiert wird.

Und wie eingangs erwähnt, enthält sich die Musik von Haim ja ebenfalls übertriebener Eindeutigkeiten. Das mag daran liegen, dass die drei Schwestern, die in der Vergangenheit mit Stars wie Taylor Swift und Charli XCX zusammengearbeitet haben, auch auf diesem Album nicht im eigenen Saft schmoren. Rostam Batmanglij, einst bei Vampire Weekend, fungierte wie schon auf dem 2020 erschienenen Vorgängeralbum „Women In Music Pt. III“ als Produzent. Die Songwriterin Clairo schrieb an einem Song ebenso mit wie Justin Vernon von Bon Iver.

Viele Köche also. Aber jedes der Haim-Stücke ist so feinsinnig inszeniert und zugleich so klug um die sofort wiedererkennbaren Stimmen des Trios komponiert, dass am Ende doch wieder alles ineinanderfließt.

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