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Einige hundert Aktivisten protestierten vor der Messehalle gegen die Veranstaltung.

© dpa/Sebastian Willnow

Nietzsche, Nius und Neonazis: Eine Buchmesse in Halle wird zum Schaulaufen der Rechten

Kampferprobte Neonazis, selbsterklärte Rechtsintellektuelle, AfD-Politiker und ganz normale Wutbürger: Auf der Buchmesse „Seitenwechsel“ in Halle an der Saale kam das gesammelte Rechtsaußen-Spektrum zusammen.

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Friedrich Nietzsche erfreut sich in der extremen Rechten seit jeher großer Beliebtheit: Begriffe wie „Übermensch“ und „Sklavenmoral“ verfingen bei den historischen Nationalsozialisten und begeistern heute die Identitäre Bewegung. Der rechtsextreme Jungeuropa-Verlag hat dem Philosophen einen eigenen Band gewidmet, „ein Generalangriff auf die ,Sklavenmoral’ der ,humanitären Gesellschaft’“, so die Verlagswerbung. 

Derlei Schriftwerk findet sich kaum im herkömmlichen Buchhandel. Um solchen rechten bis rechtsextremen Verlagen eine Plattform zu bieten, fand an diesem Wochenende erstmals die Buchmesse „Seitenwechsel“ in Halle an der Saale in Sachsen-Anhalt statt. Rund 100 Aussteller aus dem rechten Spektrum präsentierten sich, deutlich über tausend Besucherinnen und Besucher nahmen teil..

Hans und Sophie wären bei uns!

Tweet eines Neonazis aus Halle über die Buchmesse „Seitenwechsel“

Für Unterstützer und Teilnehmer war „Seitenwechsel“ war es ein herausragendes Kultur-Event: „Die Alternative zur Frankfurter Buchmesse“, schrieb die „Berliner Zeitung“. „Hölderlin in Reinkultur“, schwärmte Kommunikationswissenschaftler Michael Meyen. „Unverzichtbar“, befand der konservative Publizist Matthias Matussek. „Hans und Sophie wären bei uns!“, twitterte ein Hallenser Neonazi – eine Anspielung auf die Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime Hans und Sophie Scholl.

Daran dürfen erhebliche Zweifel bestehen: Die laut Veranstaltern „vielfältige und farbenfrohe Buchmesse“ vereinte das gesamte Spektrum der extremen Rechten – von der AfD-nahen Identitären Bewegung und ihr nahestehenden Verlagen bis hin zu Publikationen aus dem Umfeld der ehemaligen NPD (jetzt „Die Heimat“). 

Ein Wimmelbild der radikalen Rechten

Keine Splittergruppe war zu abseitig, um nicht doch mit einem Stand vertreten zu sein – als hätte Hieronymus Bosch ein Wimmelbild der extremen Rechten gemalt. Eine lange Schlange bildet sich vor einem Mann mit weißer Sturmhaube, der Bücher signiert. Auf einem großen Plakat steht: „Wie die Briten den Kommunismus erfanden und den Juden die Schuld gaben.“ Wenige Stände weiter gibt eine rechte Anwaltskanzlei Tipps zum Verhalten bei Hausdurchsuchungen. Im Foyer spielt ein Mann Gitarre, es riecht nach Currywurst – vor den Essensständen waren die Schlangen am längsten.

Einige hundert Aktivisten protestierten vor der Messehalle gegen die Veranstaltung.

© dpa/Sebastian Willnow

Die Seitenwechsel-Buchmesse wird von der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen und ihrem Buchhaus Loschwitz organisiert. Die 53-Jährige ist kulturpolitische Sprecherin der Dresdner Stadtratsfraktion der AfD, zuvor war sie Mitglied der Freien Wähler. 2018 saß sie zwischenzeitlich im Kuratorium der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. 

Der „Berliner Zeitung“ sagte Dagen im Oktober, die Idee zur Buchmesse sei entstanden, weil „die Zeiten für Verlage immer schwieriger werden – insbesondere für solche, die man als konservativ, rechts oder freiheitlich ambitioniert einordnet“. In einem weiteren Gespräch verwies sie auf die Frankfurter Buchmesse, bei der einschlägige rechtsextreme Verlage seit mehreren Jahren nicht mehr willkommen sind. Der Verlag des AfD-nahen Publizisten Götz Kubitschek wurde nach Protesten 2017 von der Frankfurter Buchmesse ausgeladen.

Götz Kubitschek, Verleger, Publizist und politischer Aktivist der Neuen Rechten beim AfD-Bundesparteitag in Riesa im vergangenen Januar.

© dpa/Sebastian Kahnert

Im Vorfeld der Messe sorgte die angekündigte Teilnahme des Dortmunder Sturmzeichen-Verlags für Kritik. Dessen zentrale Publikation trägt den programmatischen Titel „N.S. Heute“, auch Schriften der verstorbenen Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck wurden dort vertrieben. Nach der Berichterstattung erklärte die Messeleitung jedoch, der Verlag habe „zu keiner Zeit eine Zulassung“ gehabt – der Name sei „durch eine unzulässige Datenmanipulation“ ins Verzeichnis geraten.

Kein Abstand zu Neonazis

Die offene Neonazi-Szene war nichtsdestoweniger präsent: Die Chemnitzer Firma SVM Sächsische Versand und Medien UG, Herausgeberin des Magazins „Aufgewacht!“ der rechtsextremen Kleinstpartei Freie Sachsen, war offiziell vertreten. Am Stand zugegen war der langjährige Neonazi-Kader Michael Brück; daneben hing ein Plakat für einen „Netzwerktag“ der Szene. „Aufgewacht!“ fusionierte erst kürzlich mit der einstigen NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“.

Ebenfalls auf der Buchmesse: Alexander Deptollah. Als Freund der Poesie trat der Neonazi aus Dortmund bislang nicht in Erscheinung, dafür aber als Organisator des Kampfsport-Events „Kampf der Nibelungen“.

Deshalb bin ich auch zu ihnen gleich gekommen, weil ich sehr gerne ‘Compact’ gucke

Fürstin Gloria Thurn und Taxis über das als gesichert rechtsextremistisch eingestufte Magazin „Compact“

Die bei weitem sichtbarste Partei auf der Buchmesse war die AfD. Unter den Gästen: Hans-Thomas Tillschneider, stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Landtag von Sachsen-Anhalt. Die Europaabgeordnete Irmhild Boßdorf betreute den Stand von „Europe of Sovereign Nations“, einer Fraktionsgruppe im Europaparlament. AfD-Ehrenvorsitzender Alexander Gauland nahm an einer Podiumsdiskussion teil. Bundestagsabgeordneter Matthias Helferich, der sich einmal als „freundliches Gesicht des NS“ bezeichnete, zeigte sich am Stand des rechtsextremen Verlags Jungeuropa und lächelte – freundlich – in die Kameras. Helferich wurde zwar aus der AfD ausgeschlossen, ist aber weiterhin Teil der Bundestagsfraktion.

Rechtsextreme sammeln Spenden auf der Buchmesse

Auch ehemalige Mitglieder der inzwischen aufgelösten AfD-Jugendorganisation Junge Alternative waren präsent. Dazu traten zahlreiche Burschenschafter auf, erkennbar an ihren Bändern und Farbenabzeichen. Die Identitäre Bewegung unterhielt einen eigenen Stand und warb offen um Spenden – auf einem Flyer empfohlen wurden Beträge zwischen 10 und 150 Euro, darüber der Slogan: „Komm in den Widerstand“.

Fürstin Gloria Thurn und Taxis bei den Salzburger Festspielen 2022.

© dpa/Franz Neumayr

In derselben Messehalle präsentierten sich auch Verlage, Medien und Personen, die betonen, keinesfalls rechtsextrem, sondern bürgerlich und konservativ zu sein. Auf der großen Bühne diskutierten die Fürstin Gloria von Thurn und Taxis sowie der Journalist Alexander Kissler (früher „NZZ“, inzwischen „Nius“). Am Sonntag hielt der ehemalige Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, einen Vortrag. Am Samstag sprach Ralf Schuler, der Politikchef von „Nius“, dem Krawall-Portal des ehemaligen „Bild“-Chefredakteurs Julian Reichelt. Auch das Portal „Tichys Einblick“, ein rechtes Onlinemedium des früheren „Focus“-Journalisten Roland Tichy, war vertreten.

Tichy in Rage

Thurn und Taxis zeigte sich offen mit dem kremltreuen Rechtsaußen-Blatt „Compact“. Sie freue sich, auf dieser Messe „Gleichgesinnte“ zu treffen. „Deshalb bin ich auch zu ihnen gleich gekommen, weil ich sehr gerne ,Compact’ gucke“, so die nach Selbstverständnis konservative Fürstin im Gespräch mit dem zwischenzeitlich verbotenen Magazin.

Während rechte und rechtsextreme Medien auf der Messe frei arbeiten durften, war der Zugang für andere Pressevertreter reglementiert. Eigentlich sollten akkreditierte Journalisten die Hallen nur unter Aufsicht der Veranstalter betreten dürfen. Fotos und Videoaufnahmen waren, außer für ausgewählte Medien, verboten. Der Tagesspiegel-Reporter kam daher als normaler Messebesucher.

Manchem Teilnehmenden reichte es offenbar nicht, dass die Presse nicht in der Halle sein durfte: Roland Tichy fotografierte vor dem Messegelände einen Streamer und eine Fotografin aus nächster Nähe und veröffentlichte die Fotos auf X. Unter einem Posting sammelten sich umgehend Kommentare aus dem rechtsextremen Milieu. Die bekannte Neonazistin Svenja Marla Liebig meldete sich zu Wort; ein anderer Nutzer schrieb: „Packt euch doch eine Pulle Haarlack ein und lakiert die Objektive. Wenn die rumzicken, dann noch eine Ladung in die Fresse“ (sic).

Dass die Buchmesse wegen ihrer politischen Ausrichtung in der Kritik steht, empfinden Messebesucher als eklatanten Verstoß gegen die Meinungsfreiheit, Stichwort Cancel Culture. Ein Besucher eines Vortrags des Soziologen Christian Zeller (Titel: „Zerstörung der Meinungsfreiheit“) verglich die wahrgenommenen Zustände gar mit der mittelalterlichen Inquisition.

„Das ist auch nicht mehr lustig“, betonte der Mann. Die ständige Selbstinszenierung als vermeintlich subversiv und unterdrückt gehört offenbar zum Markenkern der Messe und ihren Teilnehmenden. Was der bei Rechten so beliebte Philosoph Friedrich Nietzsche wohl von derlei Opfer-Erzählungen gehalten hätte?

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