zum Hauptinhalt
Foto von Demonstranten

© DIG

Proteste gegen Viktor Orbáns Internetsteuer: Noch ist Ungarn nicht verloren

Zensur provoziert: Nach China, Ägypten, der Türkei will nun auch Ungarn unter Viktor Orbán den Internetzugang einschränken. Doch für die digitale Revolution geht das Volk analog auf die Barrikaden. Ein Kommentar.

Was der ungarische Premierminister Viktor Orbán mit dem Erlös aus erfindungsreich neu geschaffenen Steuern anfängt, konnte man zuletzt eindrucksvoll vor wenigen Monaten bestaunen. Da wurde am Ostermontag im 1700 Einwohner fassenden Dörfchen Felcsút, fünfzig Kilometer westlich von Budapest, ein 3500 Plätze fassendes Fußballstadion eröffnet – die umgerechnet 13 Millionen Euro für den Bau entnahm man dem Topf der „Sondersteuer für beliebte Mannschaftssportarten“. Die Pikanterie: Das Stadion steht nur wenige Schritte vom Wochenendhaus eines ganz besonderen Fußballfans entfernt. Sein Name: Viktor Orbán.

Ein Witz? Keineswegs. Die Pancho Arena genannte Anlage, von kritischen einheimischen Medien bereits als „pannonisches Disneyland" geschmäht, ist in ihrer ganzen Geschmacklosigkeit bestens im Internet zu besichtigen. Mit ein bisschen Fantasie lässt sich daher prognostizieren, wofür die Millionen aus Orbáns geplanter Internetsteuer bald nützlich sein könnten: zur Finanzierung eines prunkvollen Amtssitzes mit Residenzrecht auf Lebenszeit, wie ihn sich soeben erlesen scheußlich der türkische Präsident Erdogan in Ankara genehmigte.

Noch aber ist Ungarn nicht verloren, auch wenn die komfortabel regierende Orbán-Partei Fidesz, die erst 2018 wieder Wahlen zu gewärtigen hat, ihren Kurs einstweilen starrsinnig fortsetzt, weg vom europäisch-demokratischen Konsens. Am Sonntag erlebte das Land mitsamt seiner demoralisierten Opposition die erste regierungskritische Großdemo seit zwei Jahren – und am Dienstagabend ging es kräftig weiter, in Budapest und anderen Großstädten wie Szeged und Györ. Ob es nun 10 000, 40 000 oder 100 000 waren: Sie alle gehen vor allem gegen „Viktator“ Orbán auf die Straße.

Orbáns Zensur stößt auf massiven Protest

Der aktuelle Protest gilt dem europaweiten Kuriosum einer Internetsteuer, die Anfang 2015 in Kraft treten soll – und er mobilisiert sich über eben jenes Internet, schnell und geschmeidig via Facebook. Erst kamen die Klicks – bereits eine Viertelmillion auf der Webseite „100 000 gegen die Internetsteuer“. Dann folgte der Kick: die Einsicht, dass man auch physisch sichtbar einstehen und kämpfen muss – für die digitale Freiheit in einem Land, in dem die analoge immer bedrohter erscheint. Ein Anfang, endlich.

Nun könnte die Fidesz mit ihrer erdrückenden Zweidrittelmehrheit den Plan locker Mitte November im Parlament durchdrücken. Einstweilen aber setzt sie, die seit Jahren jegliche Mäßigungsrufe der europäischen Nachbarn arrogant ignoriert, immerhin auf einen ökonomisch-politischen Wackelkurs. Erst sollte der Steuer-Tarif – 50 Cent pro Gigabyte – monatlich pauschal gedeckelt, dann nur mehr von den Providern statt vom Volk eingefordert werden. Andererseits versucht man, den Protest als linksradikal und – auch eine hochbeliebte Propaganda-Vokabel – als vom Ausland gesteuert zu diskreditieren. Durchaus denkbar, dass sich das Instrument diesmal als stumpf erweisen könnte.

Frühere Revolutionen brachen oft aus, wenn Regierungen die Brotpreise anhoben. Die neue Unruhe der Ungarn, deren Durchschnittseinkommen – anders als die Lebenshaltungskosten – etwa viermal niedriger sind als in Deutschland, entzündet sich nun am Preis fürs tägliche Brot des freien digitalen Austauschs, der stets auch einer gegen die jeweilige Regierung sein kann. So wie das Ungarn unter Orbán mehr und mehr an ein Sultanat oder an ein Zarenreich en miniature erinnert, so gemahnt der Kampf ums freie Internet, mithin: gegen die Zensur, an ägyptische oder auch chinesische Verhältnisse.

Übertrieben? Hoffentlich. Ungarn liegt, man darf und muss daran erinnern, mitten in Europa, noch immer. Und, Viktatoren hin oder her, für immer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false