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Ganz weit weg. Anders als vielen heutigen Rappern geht es Marco Döll aka Mädness nicht um Geld und Autos.

© Robert Winter

Hessischer Rapper Mädness: „OG“ steht für Original Gude

Zwischen Dandy, Dittsche und Big Lebowski: Der hessische Rapper Mädness zeigt auf seinem neuen Album „OG“ viel Gefühl. Ein Treffen.

Marco Döll braucht erst mal Kaffee. Keine Milchschaumkunst mit Herzchen, sondern pures, schwarzes Destillat. Er sitzt in einem kleinen Café im Wedding, seit geraumer Zeit ist der Kiez sein Zuhause. Als die Kellnerin die Bestellung bringt, liegt auf der Untertasse ein Papierröllchen. Ein Gimmick der Betreiber. Jeder Gast erhält als Dankeschön für seine Order ein Zitat.

Döll greift nach dem Röllchen, friemelt es mühsam auf und liest laut vor: „Wer tief fühlt, schweigt.“ Das Zitat stammt vom portugiesischen Dichter Fernando Pessoa. Der 39-Jährige guckt ratlos auf das Papier. Nein, mit dem Spruch kann er sich als Rapper naturgemäß nicht identifizieren. Im Gegenteil: Marco Döll, der sich auf der Bühne Mädness nennt, fühlt tief – und hat gerade deshalb viel zu erzählen.

„OG“ heißt sein neues Album, das diesen Freitag erscheint. Die Abkürzung steht eigentlich für die in Hip-Hop-Kreisen weit verbreitete Bezeichnung „Original Gangster“. Doch kauft man jemandem aus einem behüteten Elternhaus in Darmstadt den Gangster ab? Mit Sicherheit nicht. Das weiß Döll. Deshalb münzt er das Kürzel um in „Original Gude“. Eine Referenz an seine hessische Herkunft und zugleich an seinen Beinamen „De Gude“.

Dass hier ein Guter am Werk ist, der nichts am Hut hat mit aufgesetzten Posen und Geprotze, nimmt man dem Rapper sofort ab. Im Video zum Titelsong sieht man ihn im gestreiften Frotteebademantel über eine marode Sportanlage tänzeln. Zu einem lässigen Beat mit Klavier-Loop bekennt er, „einer der letzten Gentlemen inmitten von Chauvis“ zu sein.

Mit seiner Bodenständigkeit sticht er hervor aus der Masse an Rappern, die in überdrehten Autotune-Texten ihre Herrlichkeit feiern. Mädness steht zu den Brüchen in seinem Leben, zu seinen Problemen und Zweifeln. Er verortet sich „irgendwo zwischen Dandy, Dittsche und Big Lebowski“. Zumindest formuliert er es so in „Mässisch“, dem Eröffnungsstück der neuen Platte.

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„OG“ ist ein im besten Sinne unaufgeregtes und ehrliches Album. Es handelt von zerbrochenen Träumen und Freundschaften, von Neuanfängen und der eigenen Herkunft. Mit der setzt sich Mädness in „Kein Ort“ auseinander. Entstanden ist der Song in Zusammenarbeit mit Marteria, die beiden kennen sich seit Jahren. Über einem schleppenden Beat erinnert sich Marco Döll an die Bilder seiner Kindheit und Jugend. Er rappt: „Wo Rückspiegel am Fensterrahmen hängen, entstehen Regenbogen am Rasensprenger.“

Motive wie diese verdeutlichen: Das große Geld, die schnellen Autos, Luxusklamotten interessieren Döll nicht. Stattdessen genießt er die Freiheit, keinem Bürojob nachgehen zu müssen. Das war bis vor Kurzem anders: Der studierte Soziologe war Chef eines Unternehmens für alkoholische Getränke. Die Geschäfte liefen gut, die Musik nur nebenbei. Irgendwann entscheidet sich Döll zum Neuanfang. Den rekapituliert er in „Was soll ich dir schon erzählen?“: „Ich trug Sakko, doch hasste den Beruf, fuck no.“ Mit Mitte 30 steigt er aus der Firma aus, zieht von Darmstadt nach Berlin, konzentriert sich auf die Musik. Verrückt? Vielleicht.

Mit seinem Bruder Fabian veröffentlicht er 2017 unter dem Namen Mädness & Döll die Platte „Ich und mein Bruder“. Das Werk ist eine Art Familienaufstellung, in der die beiden unter anderem den Tod ihres Vaters vor 20 Jahren verarbeiten. Mit so viel Seelenschau landen die Geschwister in den Charts und auf dem Cover des größten deutschen Hip-Hop-Magazins „Juice“. Sie gehen mit K.I.Z. auf Tour, spielen vor 8000 Leuten. Es ist der vorerst größte Erfolg für Mädness.

Angefangen hat alles im Wohnzimmer seiner Großeltern. Im Fernseher läuft der „Musikantenstadl“, der kleine Marco begleitet die Auftritte auf einem Schlagzeug. „Ich wundere mich heute noch, wie meine Großeltern das ausgehalten haben“, sagt er. Anfang der 90er entdeckt er amerikanischen Rap für sich. Die Sendung „Yo! MTV Raps“ wird Pflichtprogramm. Für deutschen Rap kann er sich vorerst nicht begeistern.

Die Themen haben nichts mit ihm zu tun, die Texte klingen in seinen Ohren oft hölzern, die Beats nicht cool. „Erst mit Leuten wie Samy Deluxe und Curse habe ich festgestellt: Okay, das funktioniert auch auf Deutsch.“ Um die Jahrtausendwende herum fängt er an, eigene Songs zu schreiben.

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2007 veröffentlicht Döll sein Debütalbum „Unikat“. Der hessische Dialekt wird zu seinem Markenzeichen. Er lernt den Rapper Olli Banjo kennen, sein Sparringspartner. Die beiden übertreffen sich durch technische Brillanz und Schnelligkeit. „Wir wollten uns einfach nur gegenseitig in Grund und Boden rappen“, sagt Mädness. Diese Art von Battle-Rap interessiert ihn jetzt nicht mehr.

Heute setzt Marco Döll auf klassisches Storytelling. In „Ich mach’s nochmal neu“ erzählt er von seiner Mutter, die er enttäuscht hat. Nach dem Tod des Vaters habe er ihr nicht zur Seite gestanden, sich mit Partys von der eigenen Trauer abzulenken versucht. Statt auf eingängige Punchlines und Spotify-Kompatibilität baut Mädness auf Inhalte.

Und weil diese Art von Rap in keine der aktuell gängigen Schubladen passt, kursiert dafür neuerdings die Bezeichnung „Grown Man Rap“. Ob sich Marco Döll damit identifizieren kann? Er muss kurz überlegen. Dann sagt er: „Ich habe das Gefühl, dass Leute wieder zu solcher Art von Rap zurückfinden.“ Man kann diese Antwort als Ja interpretieren, und das wäre keine schlechte Nachricht. [„OG“ erscheint heute bei Mädness (Groove Attack). Am 20. Februar 2020 spielt der Rapper im Berliner Badehaus.]

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