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Szene aus Vasily Barkhatovs Inszenierung

© Barbara Aumüller

Oper Frankfurt: Eine Rarität von Tschaikowsky

An der Oper Frankfurt inszeniert Vasily Barkhatov „Die Zauberin“ von Pjotr Tschaikowsky, Dirigent Valentin Uruypin setzt auf große Emotionen.

Auch wenn das Geschehen im Mittelalter in Novgorod spielt, eine böse Zauberin oder gar Hexe ist Natasja, die Titelheldin nicht. Höchstens ist sie es für die Ehefrau des Fürsten - denn der Adlige scheint sich in die schöne Wirtin verliebt zu haben, die eine Gastwirtschaft außerhalb der Stadt betreibt. Er hatte sich dort unter das feiernde, heftig diskutierende Volk gemischt und Natasja kennengelernt.

Die „Bezaubernde“ als Übersetzung für den russischen Originaltitel „Tcharodeika“ trifft es weit mehr: Natasja ist eine ehrliche, junge, geradlinige Frau. Mitleid mit dem alten, so sehr in sie verliebten und an dieser Liebe leidenden Mann hat sie durchaus. Aber Mitleid sei keine Liebe, ganz im Gegenteil, Mitleid ist das Gegenteil von Liebe, erklärt sie dem Fürsten, als dieser sie immer heftiger sexuell zu bedrängen sucht.

Der Mörder verliebt sich in sein Opfer

Auch Tschaikowski scheint bei dieser Oper weniger am russischen Mittelalter als an modernen psychischen und hier vor allem familiären Spannungen interessiert gewesen zu sein. Sie wachsen sich dabei zum Horrortrip aus. Die Fürstin versucht - zunächst mit Erfolg - ihren Sohn zum Mord an Natasja zu überreden. Doch als er vor ihr als Mörder steht, entbrennen beide in Liebe zueinander. Für Tschaikowski ist es die Schlüsselszene: Eine Mordtat wird innerhalb von fünf Minuten zur großen bedingungslosen Liebe, um diese Szene herum habe er die ganze Oper komponiert. Der Fürst, eifersüchtig auf seinen verliebten Sohn wird ihn im Finale umbringen und in Wahnsinn verfallen.

Tschaikowski hielt „Die Zauberin“ für seine beste Oper, komponiert zwischen „Eugen Onegin“ und „Pique Dame“. Doch die Uraufführung wurde reserviert aufgenommen, das Werk blieb lange verschollen, erst in letzter Zeit scheint ein neues Interesse aufzuflackern, wie Aufführungen in Erfurt und Wien zeigten. Die Oper Frankfurt, 2022 von der Fachzeitschrift „Opernwelt“ zum „Opernhaus des Jahres“ gewählt, hat sich nun mit einem russischen Team russischen Regisseur Vasily Barkhatov und dem russischen Dirigenten Valentin Uruypin, an die vier Stunden lange Oper gewagt. Die beiden hatten noch 2021 an der Neuen Oper Moskau zusammengearbeit und im Sommer bei den Bregenzer Festspielen mit viel Erfolg Umberto Giordanos Oper über ein russisches Gefangenenlager „Siberia“ herausgebracht.

Frau Fürstin macht Gymnastik

Barkhatov verlegt die mittelalterliche Geschichte in eine Soap des 21. Jahrhunderts. So macht die argwöhnische eifersüchtige Fürstin mit ihrer Kammerfrau - bei Barkhatov eine Fitnesstrainerin - Gymnastikübungen, wenn sie über einen Seitensprung ihres Mannes argwöhnt. Der Fürst wiederum krault vor dem gemeinsamen Mittagessen auf seinem Sofa seinen Schäferhund, wenn er dabei voll Lyrik an seine heimlich Geliebte denkt. 

Der Realismus ist freilich im Bühnenbild von Christian Schmidt dabei dezent durch surreale Überzeichnungen aufgebrochen, wie beispielweise große Tierfiguren. Und immer wieder – wie bei filmischen Cuts – fällt überraschend der Vorhang, wobei es sogar eine kurze Szene ohne jegliche Musik gibt: Dienstmädchen räumen auf, während ein Hund bellt und die Uhr tickt. Umso eindrücklicher wirkt nach solchen Stille-Pausen Tschaikowskis Musik.

Dirigent Valentin Uryupin stürzt mit dem Frankurter Opern- und Museumorchester die Zuhörer in aufwühlende, gegensätzliche Emotionen.: volksliedhaft schlicht, ja sentimental, dann wieder mit kraftvoller Energie, manche Chöre unsichtbar im Hintergrund wie flüsternde innere Stimmen der Figuren. Dann wiederum macht sich eine sich immer mehr aufgepeitschte Ausgelassenheit im Wirtshaus von Natasja breit. 

Im Wirtshaus wird ausgelassen gefeiert

Auch sängerisch bezaubert und betört, weich und klar im Ausdruck Asmik Grigorian als Natasja. Die Mitglieder der Horrorfamilie liefern schauspielerisch und sängerisch eindrucksvolle Charakterstudien: Iain MacNeill ist ein zunächst durchaus sympathisch erscheinender Fürst, der aber zum erschreckend brutalen Gewalttäter gegenüber Geliebter, Ehefrau und Sohn wird; dieser (Alexander Mikhailov) ein braver Sportler in Jogginghose, noch nicht ganz erwachsen, aber gerade darin berührend, aufgerieben zwischen Papa und Mama. Schließlich Claudia Mahnke als souveräne, sich nicht aus der Ruhe bringen lassende, auf die Nerven gehende Ehefrau.

In der Frankfurter Aufführung sind als Gegenfiguren die klerikalen Bösewichte zusammengelegt: Der Intrigant und Spitzel Mamyrow und der giftmischende Einsiedler (Frederic Jost). Den Hintergrund der patriarchalischen Familiengeschichte bilden Volksszenen und drohende Volksaufstände gegen Betrug der Herrschenden. Auf diese Opposition, die sich schon in Nastasjas Anwesen untereinander verabredet hat, und dann auf dem Markt gegen überhöhte Steuern, Plünderung durch die Regierung öffentlich protestiert, wird mit Zensur und harter Polizeigewalt reagiert. Ob Tschaikowskis Eintreten für eine solche intellektuelle Opposition 2022 in Russland möglich wäre, ist gar nicht so sicher.

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