
© imago/Xinhua/Mohammad Abu Ghosh
Opern-Klassiker neu gelesen: Das Frauenopfer, ein Privileg?
Barbara Vinken analysiert in ihrem Buch „Diva – Eine etwas andere Opernverführerin“ die Frauenfiguren des klassischen Musiktheaters auf überraschende Weise.
Stand:
Die Oper war von Beginn an ein Kampfplatz der Geschlechter. Schon bei Monteverdi ging es um Sex, Liebe und Machtverhältnisse. Um starke und vermeintlich schwache Frauen, brutale Männer und Schwächlinge, sie alle waren von Anfang an präsent auf der Opernbühne.
In den aktuellen Debatten über Feminismus, Geschlechtergerechtigkeit und -identität werden die Themen auf der Theater- und Opernbühne noch einmal ganz neu beleuchtet. Die Literaturwissenschaftlerin, Romanistin und Modetheoretikerin Barbara Vinken befragt in ihrem Buch „Diva – Eine etwas andere Opernverführerin“ nun zentrale Werke des Opernrepertoires nach Geschlechterkonzeptionen und Klischees und analysiert ihre Frauenfiguren auf überraschende Weise.
Queerness siegt
Da ist zum Beispiel die Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“, jene traditionell als kalte, rachsüchtige Mutter verstandene Gegenspielerin des sich humanistisch gebenden Sarastro. Für Vinken verweist diese rätselhafte Frauen-Figur zurück auf die barocke Seria-Oper, ihren hoch virtuosen Gesang versteht sie als kalkuliert eingesetztes Zitat der Tradition des Kastratengesangs. „Die strahlenden Koloratur-Arien der Königin singen mit machtvollem Kastratensopran sämtliche männerbündischen Bässe in Grund und Boden. Alle behauptete Natürlichkeit und ganze Männlichkeit geht damit den Bach runter, Queerness, Transvestie und überhaupt das märchenhaft Kunstvolle siegen auf ganzer Linie.“
Für die Autorin vertreten in der „Zauberflöte“ die Gegenspieler der Königin der Nacht, also Sarastro und seine Priesterkaste, ein Gedankengut, das für eine strenge Binarität steht, in der die Unterordnung des Weiblichen unter das Männliche überhaupt erst die Bedingung der Menschwerdung der Frauen ist. Den geschlechtslosen Gesang der sternflammenden Königin betrachtet sie als radikalen Gegenpol zur geschlechtlichen Eindeutigkeit und zum Aufklärungspathos der Priester-Gesänge.
Die Oper als Labor für Gesellschaftsfragen
Vinken versteht in ihrem feministischen Opernbuch die Gattung Oper selbst als ein Labor für die Auslotung von Geschlechterfragen. „Mit dem Hetero-Normativen sprengt die Oper jedes Genderkorsett. Wie keinem anderen Genre außer der Mode ist es der Oper gegeben, Geschlechtsrollen zu entnaturalisieren, sie kunstvoll als Rollen und nicht als Natur aufscheinen zu lassen.“
Die Autorin widmet sich zunächst Mozarts „Figaro“ und findet zahlreiche Hinweise auf fluide Geschlechter-Identitäten. „Binäre Geschlechter werden tatsächlich durchkreuzt: Cherubino, als Bühnenfigur ein Junge in Mädchenkleidern, wird de facto von einer Frau in Männerkleidern gesungen, die als Mädchen „verkleidet“ wird. In der Figur des Cherubino verrücken Da Ponte/Mozart das heterosexuelle Begehren.“
Wie keinem anderen Genre außer der Mode ist es der Oper gegeben, Geschlechtsrollen zu entnaturalisieren.
Barbara Vinken in ihrem Buch „Diva – Eine etwas andere Opernverführerin“
Für die Autorin sind diese heiteren Manöver des Crossdressing weitaus mehr als nur Verkleidung. Die Figur des Cherubino hat für sie tatsächlich revolutionäres Potenzial, denn er verkörpert in ihren Augen die Kritik an der Herrschaftsform der patriarchalischen Ehe, die im aufkommenden Bürgertum – nach der grenzenlosen Libertinage und Zügellosigkeit der späten Feudalzeit, die mit der französischen Revolution endete – zur unumstößlichen Norm wird.
In der kritischen Rezeption der Gattung Oper ist immer wieder beklagt worden, dass die Opernbühnen übersät sind von Frauenleichen, spätestens seit Catherine Cléments Buch „Die Frau in der Oper. Besiegt, verraten und verkauft“. Vinken untersucht ausführlich nun auch die großen Leidenden, von Bellinis Norma über Verdis Gilda und „Traviata“, die Verismo-Heldinnen Tosca und Butterfly bis hin zu schillernden Charakteren wie Bizets Carmen und Alban Bergs Lulu. Immer wieder schlägt Vinken auch unbequeme Deutungspfade ein, wenn sie Bezügen und Parallelen zu philosophischen oder theologischen Konzepten und zur griechischen Mythologie nachgeht.
Die „Traviata“ etwa kehrt nach Vinkens Interpretation in exemplarischer Weise die Opferlogik sogar um: „Auf der Bühne findet ein Liebesopfer statt. Wie im 19. Jahrhundert üblich, nimmt in dieser Religion die Frau die Nachfolge Christi auf sich. Das ist selbstverständlich kein heidnisches Frauenopfer, sondern ein Privileg. In Verdis „Traviata“ wird der heidnische Opferkult durch das christologische Liebesopfer der Violetta zurückgelassen und überwunden. Das macht die „Traviata“ zur romantischen Oper par excellence.“
Diese religiöse Überhöhung überrascht in einem Buch, das sich als feministisch versteht und zum Thema Gender leichtere Töne anschlägt. Die Umkehrung der Opferlogik in eine christliche Heilsgeschichte kann man als Bruch empfinden. Aber solche Überraschungen schmälern kaum den Reiz dieses in der Summe überaus anregenden Buchs, das allerdings ausdrücklich kein Buch über Musik sein will. Sondern eines über das Genre Oper und die verwirrenden Dynamiken dieses „Kraftwerks der Gefühle“, als welches Alexander Klug einst das Genre so treffend bezeichnete.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: