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Kultur: Oscar und Oscar

Wie Amerika auf die schwulen Cowboys in „Brokeback Mountain“ reagiert

Sonntagnacht ist Oscar-Nacht. Weil es mit Ang Lees achtfach nominiertem Film „Brokeback Mountain“ einen klaren Favoriten gibt, machte sich der Nachrichtensender CNN auf den Weg nach Lebanon, Kansas, um am geografischen Mittelpunkt der USA herauszufinden, wie das wahre Volk einen Western mit schwulen Cowboys findet. Von dem Dutzend Einwohner, das die Reporterin interviewte, hat ihn niemand gesehen – und will es auch gar nicht. „Die in Hollywood machen sowieso nur Filme, für die sich nur die Kalifornier interessieren“, sagt einer erbost. Sie würde eine Neuauflage von „The Sound of Music“ begrüßen, ergänzt eine Frau: Das ist der ultimative US-Alpenjodler, der 1965 den Oscar gewann.

Hollywood habe sich vom Herzen des Landes abgekoppelt, berichtet die Reporterin mit ernstem Blick. Dabei ist es ruhig in diesem Land. Gerade mal 61 000 Unterschriften kratzten die konservativen Christen vom „Center For Reclaiming America“ für einen Protestbrief zusammen, den sie am Freitag nach Hollywood schickten. Die Nominierungen für den Western, heißt es darin, seien „ein massiver Versuch, die homosexuelle Agenda zu normalisieren“.

Die radikalen Christen stehen damit ziemlich alleine. Abgesehen von dem Schuldirektor, der sich dafür schämt, dass Michelle Williams, die im Film Heath Ledgers Ehefrau spielt, einst seine christliche Lehranstalt besuchte. Aber sonst: kein Protestmarsch in Washington, keine Kampagne in Rupert Murdochs parteiischem TV-Sender Fox News. Dabei geht es um ein Thema, mit dem die Wahlkampfstrategen 2004 noch kräftig Stimmung machten: um Homosexualität. Die Debatte über ein verfassungsrechtliches Verbot der Homoehe war ein wichtiger Baustein für die Wiederwahl von George W. Bush. „Brokeback Mountain“ aber wird unbehelligt gezeigt, von New York bis Los Angeles, von der Prärie in Montana bis Texas, wo er am ersten Wochenende mehr Karten verkaufte als „King Kong“.

Der kleine Film über zwei schwule Cowboys, der bereits vier Golden Globes abräumte, erntete selbst in der christlichen Fachpresse nur milde Kritik. Während die Taten der Protagonisten nicht befürwortet werden könnten, sei „das universale Thema des Films – Liebe und Verlust – wahrhaftig dargestellt“, urteilt die Conference of Catholic Bishops. Die wollte den Streifen mit der Einschätzung „L“ (wie limitiert) versehen, entschied sich dann aber doch für ein „O“ (wie „offensive“, anstößig). Dabei inszeniert der taiwanesische Regisseur Ang Lee die auf einer Kurzgeschichte von Annie Proulx basierende Story nicht anstößig, sondern langsam und anmutig. Jack (Jake Gyllenhaal) und Ennis (Heath Ledger) kommen sich in einer alkoholseligen Nacht auf dem Berg im Zelt nahe, aber der Zuschauer weiß nie genau, ob es sich um einen Ringkampf handelt oder einen Liebesakt. Danach gibt es diese Anziehungskraft zwischen ihnen; sie gehen trotzdem ihrer Wege, heiraten, gründen Familien – und kommen nicht voneinander los.

Bei den Kritikern erntete das Werk überwiegend Begeisterung. „Brokeback Mountain“ sei ein stoischer Film, befand der „New Yorker“: eine Studie über die Liebe im Ausnahmezustand. „Vom Winde verweht“ für Schwule, nennen ihn andere. „Chicago“-Produzent Craig Zadan sagte dem „Time“Magazin: „Das ist praktisch der erste Schwulen-Film für die konservativen Staaten. Ein Streifen mit Machogehabe, maskulin und mit heterosexuellen Schauspielern auf Pferden, der sich als homosexuelle Lovestory entpuppt.“

Eine erfolgreiche dazu. Die 13 Millionen Dollar Produktionskosten hat der Film, der kurz vor Weihnachten nur in wenigen Kinos an der Ost- und Westküste zu sehen war, längst wieder eingespielt. Mittlerweile läuft er landesweit auf 1200 Leinwänden und dürfte rund 130 Millionen Dollar eingespielt haben. Eine überraschende Erfolgsgeschichte, wie sie mitunter auch im kommerziell geprägten Hollywood möglich ist. Produzent James Schamus scherte sich zunächst wenig um mögliche Empfindsamkeiten: „Es ist mir völlig egal, ob einer ein homophobes Arschloch ist. Der soll halt wegbleiben.“ Mittlerweile ist er zurückhaltender. In den Südstaaten und im Mittleren Westen wirbt der Film bisweilen mit einem Bild der Eheleute statt mit dem der Cowboys. Aber gleichzeitig wird spekuliert, dass „Brokeback Mountain“ eine ganze Serie von Hollywood-Filmen über Schwule nach sich ziehen könnte. Auch von der Gefahr, sich mit der Darstellung eines Homosexuellen die Schauspielerkarriere zu verbauen, spricht kaum noch einer. Vorerst. Noch 1998, ein Jahr nach der Veröffentlichung von Proulx’ Erzählung, wurde in ihrer Nachbarschaft in Wyoming ein Student gefoltert und erschlagen – weil er schwul war.

Der Hass, die Vorurteile und die Angst sind kleiner geworden. Verschwunden sind sie nicht. Wenn die christliche Rechte gegen „Brokeback Mountain“ nur verhalten vorgeht, dann auch, weil sie aus Erfahrung klüger geworden ist. Stuart Shepard, Redakteur eines christlich-konservativen Newsletters, sagt: „Wir protestieren nicht, weil wir den Produzenten nicht in die Hände spielen wollen. Die sagen sonst: ‚Die christliche Rechte ist gegen den Film, also müsst ihr ihn unbedingt, unbedingt, unbedingt sehen’.“ Kurz vor der Oscar-Verleihung hat sich übrigens noch eine weitere kritische Stimme zu Wort gemeldet: Die Tierschützer der „American Humane Association“ beschwerten sich darüber, dass die Schafe, die die Cowboys vor sich hertreiben, nicht pfleglich behandelt worden seien.

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